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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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würde.
    Beherrschung, ja, das war das Schwerste, was er über viele Jahrzehnte hatte lernen müssen. In den ersten Jahren hatte die Gier ihn beherrscht, über sein Handeln bestimmt und ihn in nicht wenig prekäre Situationen gebracht. Heute herrschte sein Verstand und war stets in der Lage einzugreifen. Selbst wenn er sich der Gier nach Blut und dem Genuss seines Geschmackes hingab, blieben alle seine Sinne hellwach und aufmerksam auf die Umgebung ausgerichtet. Einen jungen Vampir konnte man am besten überraschen und überwältigen, während er trank, denn dann war er taub und blind für alles andere. Viele wurden in dieser Zeit vernichtet. Ihre Ewigkeit währte nicht lange. Gelang es einem Vampir allerdings die ersten paar Dutzend Jahre zu überstehen, dann wurde es für einen Menschen sehr schwer, ihn zu überrumpeln. Wenn nicht sogar unmöglich.
    Der Wagen fuhr vor dem Palais der Fürsten Kinsky vor. Steifbeinig sprang der Groom von seinem Sitz und öffnete das Tor. András dirigierte die Pferde bis in den hinteren Hof und ließ sie dann anhalten.
    »Du kannst die ersten Pferde schon einmal ausspannen. Ich warte hier und begleite dann deine Herrin bis zur Halle.«
    Johann nickte gähnend und schlurfte mit den beiden Vorauspferden davon. Die Stangenpferde warteten, ohne sich zu rühren oder auch nur zu schnauben. Vielleicht hätte dieser ungewöhnliche Umstand die Aufmerksamkeit des Pferdeknechts erregt, wäre er nicht so schrecklich müde gewesen.
    András beugte sich über die schlafende Fürstin. »Therese, aufwachen, Sie sind zu Hause.«
    »Ich will nicht nach Hause!«, murmelte sie schlaftrunken. »Ich will bei Ihnen bleiben.«
    »Es ist spät, und Sie müssen schlafen.«
    »Ich schlafe doch schon«, gab sie recht überzeugend zurück. András konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.
    »Ja, und wenn ich Sie hier auf dem Wagen zurücklasse, dann werden Sie erfroren sein, noch ehe die Sonne aufgeht. Also, steigen Sie nun freiwillig aus, oder muss ich Sie in Ihre Gemächer hinauftragen?«
    Die Fürstin riss die Augen auf und starrte ihn an. Sein Gesicht war nun kaum eine Handbreit von dem ihren entfernt.
    »So etwas Unschickliches würden Sie tun, mein Freund?«
    »Wenn Sie mich dazu zwingen, Teuerste.«
    Er spürte, dass seine Beherrschung erlahmte. Und auch in ihr loderte unvermittelt ein Feuer auf, das alle Schläfrigkeit vertrieb. Sie öffnete die Lippen, und die Forderung war so deutlich, als habe sie sie laut ausgesprochen. András beugte sich noch tiefer herab und küsste sie leicht. Rasch richtete er sich wieder auf. Und dieses Mal folgte Therese seiner Aufforderung. Er konnte ihre Verwirrung spüren. Sie kämpfte mit sich und versuchte die wechselnden Gefühle, die sie so machtvoll durchrannen, zu ordnen. Vielleicht war es gut, dass der Groom in diesem Moment zurückkehrte, um die beiden Stangenpferde auszuschirren.
    András hob die Fürstin vom Wagen und führte sie zum großen Hof zurück und bis unter den Durchgang, von dem aus sich das Tor ins Vestibül öffnete. Therese wandte sich ihm zu und kam ihm so nahe, dass sie sich berührten. Ihre Arme umschlangen seine Mitte.
    »Liebster Freund, halten Sie mich nicht für leichtfertig, doch gewähren Sie mir noch einen Kuss. Eine solche Nacht muss einen Abschluss finden, der ihr gebührt!«
    Und so nahm András die Fürstin fest in seine Arme, beugte sich vor und sog ihren Geruch in sich ein. Dann küsste er sie. Nicht flüchtig und zart wie zuvor auf dem Wagen. Dies war ein Kuss, der den Namen verdiente. Ein Versprechen, ein Fluch, der Beginn von Leidenschaft. Süß und ein wenig schmerzhaft. Ein kleiner Tod. Seine Zähne ritzten ihre Lippe. Blutstropfen bahnten sich ihren Weg und benetzten seine Zunge.
    Therese stöhnte. Sie riss die Augen auf und sah in die seinen. War da ein Hauch von Erkennen? Nein, das durfte er nicht zulassen.
    András löste sich von ihr. Der Blick der Fürstin verschleierte sich.
    »Gehen Sie nun zu Bett, meine Freundin, schlafen Sie und träumen Sie von Ihren Fahrkünsten.«
    »Wann werden wir uns wiedersehen?«
    »Bald, meine Teure, sehr bald.«
    András dirigierte sie zur Tür und hielt sie für Therese auf. Mit unsicheren Schritten wankte sie in die Halle. Er dachte schon, er müsse sie hinauftragen, als jemand die Treppe heruntergeeilt kam. Für einen Augenblick fürchtete András, es wäre der Fürst. Nicht dass er um sich Angst empfunden hätte, doch er konnte es nicht zulassen, dass er sich an Therese vergriff.

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