Das Herz der Nacht
zuvor festgelegt, die Tanzkarten gedruckt und an die Privilegierten verteilt, die nach dem Protokoll des strengen spanischen Hofzeremoniells überhaupt das Recht hatten, an solch einer Veranstaltung teilzunehmen. Hoffähig war man, wenn man dem Hochadel angehörte, genauer gesagt, wer sechzehn im Adel geborene Großmütter – acht auf jeder Seite – nachweisen konnte. Ferner wurden Diplomaten zum Ball bei Hof geladen, Minister, die höchsten Staatswürdenträger und Generäle. Rangordnung und Verpflichtungen bestimmten, wer wen zu welchem Tanz in den Ballsaal führte. Zwar wurde auch in der Hofburg inzwischen Walzer getanzt, doch Therese verglich dieses beherrschte Drehen mit dem ruhigen Wasser eines Kanals. Die Bälle des Volkes in den prächtigen Tanzsälen der Stadt, wie der »Mehlgrube« am neuen Markt, dem neuen »Elysium« des Kaffeesieders Daum oder dem Odeonsaal in der Leopoldstadt, glichen dagegen dem unbändigen Rauschen des Gebirgsbachs, wenn Lanner auftrat oder Johann Strauss zur Geige griff und mit seinem Orchester seine neusten Walzerkompositionen vortrug oder zu einem rasanten Galopp aufspielte.
Für eine Weile schwelgte Therese in ihren Walzerträumen, bis sie unsanft in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde. Sollte das etwa das Spiel zweier Geigen sein? Es hörte sich eher an, als würde eine Katze gequält! Zum Glück brachten die beiden Knaben ihr Stück schnell zu Ende und zogen sich dann mit verlegenen Verbeugungen in ihr Kinderzimmer zurück. Wie viele Kinder hatte die Fürstin? Therese überlegte. Vielleicht waren ja nicht alle so unmusikalisch.
Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, wurde nach dem Essen musiziert – wenn die Herren nach Cognac und Pfeife geruhten wieder aus dem Rauchsalon aufzutauchen. Anders jedoch als Therese es von den literarischen Salons gewohnt war, die sie so gern aufsuchte und über die manches Mitglied der aristokratischen Gesellschaft die Nase rümpfte, waren die Darbietungen aus den Reihen der adeligen Gastgeber und ihrer Gäste meist noch schlimmer als nur laienhaft zu nennen!
»Oh ja, bitte, singen Sie uns eine Ballade.«
»Ach, Durchlaucht, wenn Sie mich so drängen!« Ein albernes Kichern folgte den Worten.
War das nicht die kleine Baronin, die ihr Mann zurzeit mit Aufmerksamkeiten bedachte? Therese betrachtete das junge Mädchen kritisch, das sich von einigen der anwesenden Herren zum Klavier komplimentieren ließ. Na ja, eine Schönheit war sie nicht. Für Thereses Geschmack zu drall, und die Farbe ihres Kleides stand ihr nicht gut zu Gesicht. Himmel, wer hatte sie zu diesem Rosa überredet? Sie sah aus, wie eines dieser üppig verpackten, sahnigen Bonbons, die es bei den Hofbällen stets gab und mit denen sich die jungen Offiziere die Taschen vollstopften, um sie später irgendeiner Liebsten zu verehren. Bonbons aus der Hofburg, ja das war schon etwas, mit dem man ein junges Mädchen für diverse Begehren nachsichtig stimmen konnte!
»Ich möchte eine Arie aus ›Comte Ory‹ von unserem verehrten Gioachino Rossini singen«, zwitscherte die Rosafarbige. Therese verdrehte die Augen, und es kam ihr so vor, als wäre auch der Beifall der Herren ein wenig verhalten.
Das habt ihr euch selbst eingebrockt, dachte sie ein wenig schadenfroh. Ja, Rossini wurde in Wien nach wie vor verehrt, auch wenn der erste Wahn der Begeisterung sich inzwischen ein wenig gelegt hatte. Auch Therese liebte seine Werke und war zur der Zeit, als seine neuen Opern erschienen waren, stets in ihrer Loge im Theater an der Wien anzutreffen gewesen. Aber das, was sie jetzt zu hören bekam, hatte mit seiner großartigen Musik nichts zu tun! Therese hatte alle Mühe, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, als das dralle Mädchen um die Töne zu kämpfen begann. Sie sah ihren Gatten wie von Schmerzen geplagt zusammenzucken. Vielleicht schenkte er seine Gunst das nächste Mal lieber wieder einem Ballettmädchen, das wenigstens nicht versuchte zu singen, dachte sie und unterdrückte ein Kichern.
An sich waren ihr die Liebschaften ihres Mannes egal. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass er sich stets willige Damen oder auch andere Frauen suchte, die sie nicht als Damen bezeichnen würde. Solange er diskret dabei war, wollte sie sich nicht beschweren, aber genau das war häufig das Problem. Der Fürst trank gerne und übermäßig, und dann war es mit der Diskretion schnell vorbei. Kluge Mütter sorgten dafür, ihre Töchter aus seinem Umkreis zu entfernen, doch wie immer gab es auch
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