Das Herz der Nacht
András spürte, wie sich sein Körper anspannte.
Nein, das waren Füße, die Arbeit und Dienen gewohnt waren. Und schon erklang die Stimme des Butlers.
»Durchlaucht, was ist mit Ihnen? Es ist spät geworden. Ich begann schon, mir Sorgen zu machen. Sie hatten doch nicht etwa einen Unfall?«
»Nein, Lorenz, mach dir keine Gedanken. Ich bin nur ein wenig müde und verlange unverzüglich nach meinem Bett. Komm, reiche mir deinen Arm bis zur Tür, dann wird sich Vesna meiner annehmen.«
András zog sich geräuschlos zurück und verließ das Palais. Er eilte nach Hause. Unterwegs griff er sich einen jungen Mann, der mit ein wenig unsicherem Schritt die Straße entlangkam, allerdings nicht so sehr betrunken war, dass sein Blut dem Vampir geschadet hätte. Mit kurzen, gierigen Zügen trank er, bis er ihn so geschwächt hatte, dass er die kommenden Tage sicher das Bett hüten musste. Ernsthaften Schaden würde er nicht davontragen.
András trug ihn in den nächsten Hof und ließ ihn dort liegen, ehe er seinen Heimweg fortsetzte. Sein ärgstes Drängen war nun befriedigt, aber noch immer reizte der Duft der Fürstin seine Nase, und so schmeckte das Blut dieses Nachtschwärmers ungewöhnlich schal.
András überquerte den Michaelerplatz und warf einen Blick zu den dunklen Fenstern des Zinshauses hinauf, hinter denen Familie Wallberg wohnte. Er spürte, wie ein Lächeln seine Lippen teilte. Noch rascher setzte er seinen Weg fort, bis er das Palais erreichte, das er den leichtfertigen Bankierssöhnen abgenommen hatte. Nachdem die feste Hand und der Weitblick des Vaters einmal fehlten, war es ein Leichtes gewesen, die beiden zu Spekulationen zu reizen, deren Gewinne dann in Strömen in die Taschen des Grafen aus Siebenbürgen flossen. Sie kümmerten sich nicht weiter darum, kauften Kunstwerke, genossen das Leben und sahen zu, wie ihr Vermögen schwand, bis sie plötzlich überrascht feststellten, dass ihnen nicht einmal genug blieb, ihren Lebensstil in dieser Weise weiterzuführen. Schnell waren Wechsel unterschrieben, die sie wieder flüssigstellten. Das Palais diente als Sicherheit, bis es schließlich ganz den Besitzer wechselte. Wieder rieben sich die beiden jungen Männer die Augen. Wie hatte es so weit kommen können? Graf Báthory, der ihnen wohl eine Antwort hätte geben können, schwieg, ließ sie ratlos zurück und zog in sein Wiener Palais ein.
András schloss das Tor hinter sich. Goran hatte seine Arbeit gut gemacht. Selbst er konnte das Blut auf den steinernen Frauengewändern nur noch schwach wittern. Drei Stufen auf einmal nehmend lief er hinauf zum Musiksalon, klappte den Deckel des Flügels auf und ließ sich auf den Schemel sinken. Aus dem Gedächtnis spielte er alle Läufe und Melodien, die Karoline Wallberg ihm gezeigt hatte. Dann nahm er die Blätter zur Hand, die sie mit Linien und zierlichen Noten bedeckt hatte. Das war ihre letzte Lektion in der vergangenen Nacht gewesen. Welche Note welcher Taste entsprach und wie sie zu spielen war. Es bereitete András keine Schwierigkeiten, sich daran zu erinnern, und schon bald konnte er die kleinen Stücke vom Blatt spielen.
Bis zum Morgengrauen saß er am Flügel, wiederholte die Übungen und fing dann an, Melodien nachzuspielen, die er irgendwo gehört hatte.
Er wäre noch länger dort sitzen geblieben, so sehr faszinierte ihn das Spiel auf seinem Pianoforte, hätte nicht die aufgehende Sonne ihn zum Rückzug in seinen Sarg gezwungen. So blieb ihm nur, sich in die Sicherheit der Finsternis zurückzuziehen und dem Abend entgegenzufiebern.
Der kaiserlich-königliche Polizeikommissär Hofbauer schritt in seinem Dienstzimmer auf und ab und raufte sich das Haar, bis es ihm abenteuerlich nach allen Seiten abstand. Jedes Mal, wenn er an seinem Schreibtisch vorbeikam, sah er auf die drei neuen Blätter hinab, die neben seinen alten Aufzeichnungen lagen, und er stöhnte gequält auf, ehe er seine Wanderung fortsetzte.
Drei Namen, drei Leben, drei Menschen, die in den vergangenen Tagen bei Nacht spurlos verschwunden waren. Und dann noch ein weiterer Mord an einer Frau Mitte dreißig aus der Josefstadt. Eine Schauspielerin am Theater an der Wien. Keine, die die großen Rollen bekam. Eher unauffällig, mäßig begabt, die sich nach Ende der Vorstellung gegen halb elf auf den Heimweg gemacht hatte, zu Hause aber nie angekommen war. Bereits um elf hatte sich ihr besorgter Gatte aufgemacht, sie zu suchen. Um diese Zeit sollten anständige Bürger längst daheim sein,
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