Das Herz der Nacht
könnte sie gesunden, wenn vielleicht auch nicht vergessen.
Ein Schatten huschte über ihre Miene, so als spürte sie seine Überlegungen. Sie legte ihre Hand auf die seine.
»Wir sind doch Freunde, nicht wahr? Und wir werden nun nicht Abschied voneinander nehmen?«
Das Drängen rührte ihn auf seltsame Weise, und so umfasste er die Hand und hob sie an die Lippen. »Ja, wir sind Freunde, Durchlaucht, und wir werden noch viele solche Nächte zusammen erleben«, bestätigte er ihr, obgleich er sich als wahrer Freund hätte zurückziehen sollen, egal, ob sie es verstand oder nicht. Sollte sie es jemals verstehen, dann wäre es für sie zu spät!
»Dann müssen Sie mich von nun an Therese nennen!«, forderte sie. Er nahm die Ehre mit Dank an.
»Wunderbar, dann melde ich Sie für das Schlittenkarussell an. Das wird ein Spaß! Es soll in diesem Jahr wieder so prächtig werden wie im Jahr des großen Wiener Kongresses. Bitte sagen Sie nicht nein!«
Sie strahlte ihn mit einer Begeisterung an, dass András dem Vorschlag zustimmte. Da die Schlittenfahrt nach Einbruch der Dunkelheit stattfinden sollte, würde er sein Versprechen halten können.
»Leider werden auch dieses Mal die Paare ausgelost. Wir wären sicher unschlagbar, aber auf solch einen Zufall wage ich nicht zu hoffen. Es ist zu schade. Wenn man nur wüsste, wen man bestechen muss …« Die Fürstin lächelte verschmitzt. »Diese Gelegenheit würde ich mir nicht entgehen lassen!«
András übernahm nun wieder die Zügel und lenkte die Pferde in die Stadt zurück. Zwar wäre die Fürstin nun auch selbst in der Lage gewesen, das Gespann zu beherrschen, denn sie hatte erstaunliche Fortschritte gemacht. Aber er spürte, wie Müdigkeit nach ihr griff und ihre Aufmerksamkeit trübte. Als er die Pferde in Schritt fallen ließ, merkte er, wie die sanften Bewegungen sie schläfrig stimmten.
»András, verzeihen Sie«, gähnte sie hinter vorgehaltener Hand. »Denken Sie nicht allzu hart. Ich bin leider schon eine alte Frau und zu nicht mehr viel zu gebrauchen.«
»Therese, ich verbiete Ihnen, solch dummes Zeug daherzureden!«, widersprach András streng. »Sie haben ein hartes Training durchlaufen, ohne Schwäche zu zeigen oder in Ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen. Sie halten mehr aus als jedes junge Ding! Alt sind Sie ganz sicher nicht. Ich vermute, Sie könnten zwölf Runden den Langaus tanzen, ohne auch nur außer Atem zu geraten. Wollen wir wetten? Ich würde mich als Tänzer und Schiedsrichter zur Verfügung stellen!«
»András, wo haben Sie die vergangenen Jahre gelebt? Der Langaus ist aus der Mode. Er wurde aus gesundheitlichen Gründen verboten! Zu viele brachen mit Versagen des Herzens zusammen. Heute dreht man sich im Takt der gesitteten, doch noch immer schwungvollen Walzer.«
»Nun gut, wenn Sie Ihre sportlichen Fähigkeiten auch noch auf modische Weise beweisen wollen, dann eben ein Galopp! Den ganzen rasanten Sperl-Galopp von Strauss in einem Zug? Was halten Sie davon? Schlagen Sie in die Wette ein?«
Sie kicherte schläfrig. Ihre Lider schlossen sich, ihr Kopf sank gegen seine Schulter. András lenkte den Wagen die Herrengasse entlang auf die Freyung zu. Ein entspanntes Lächeln umspielte die Lippen der Fürstin, die einige Worte im Schlaf murmelte.
Ihr Duft stieg ihm in die Nase. Es war nicht der süßliche Geruch der Jugend. Doch er hatte ihr nicht geschmeichelt, als er sagte, sie sei noch nicht alt. Obwohl die Anzahl der Jahre dies durchaus nahelegen konnte und es genug Menschen gab, deren Körper und Geist schon viel früher sich dem zunehmenden Verfall des Alters ergaben. Die Fürstin dagegen strahlte Kraft und Lebenshunger aus. Sie wollte noch so viel erleben, und das hielt sie jung. Dennoch war da auch das Leid, das sie in ihrem Leben schon erfahren hatte. Zusammen ergab sich eine überaus vielversprechende Mischung, die er zu gerne gekostet hätte.
Die Lust steigerte sich zur Gier, je länger ihr Duft ihm in die Nase stieg. Er wollte ihr nicht schaden, doch konnte er es wagen, nur einen kleinen Schluck zu versuchen? Die Adern pochten so einladend unter ihrer hellen Haut und schienen ihn zu locken und zu betören.
Würde es bei dem einen Schluck bleiben? Die Gier hatte inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen. Ein scharfer Schmerz fuhr durch seinen Kiefer, und er spürte, dass es ihn viel Kraft kostete, seine Reißzähne unter Kontrolle zu halten. Dennoch war er sich sicher, dass er die Beherrschung nicht verlieren
Weitere Kostenlose Bücher