Das Herz der Nacht
geöffneten Lippen zu ihm auf.
Angewidert wandte sich Therese ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Grafen. Sie war froh, kein Mitgefühl in seinem Blick erkennen zu können. Nein, Mitleid war etwas für schwache, bedauernswerte Kreaturen, zu denen sie sich ganz sicher nicht zählen wollte!
Während sich nun ein dicker Graf aus dem Rheinland an den Flügel setzte, der einer der wenigen war, der der Mode trotzend noch Kniehosen trug, erhob sich Graf Báthory.
»Sie wollen schon wieder gehen?«, rief die Fürstin, und es gelang ihr nicht, den Schreck aus ihrem Ton herauszuhalten.
András sah sie überrascht an. »Sie wollen sich das noch weiter antun? Ich glaubte in Ihnen eine Liebhaberin wahrer Kunst zu erkennen. Ich habe nichts gegen Laienaufführungen und ein wenig Hausmusik, aber das, was sich hier an Dilettantismus breitmacht, ist nicht zu ertragen! Nicht dass es in Wien an Musizierfreude fehlen würde, dafür umso mehr an Ausbildung und der Erkenntnis, dass auch Fleiß und Übung dazugehören!«
Die Fürstin nickte mit Nachdruck. »Sie sprechen die Gedanken aus, die ich so oft in mir bewege. Wenn man vom Salon der Familie Sonnleithner und ein paar wenigen anderen einmal absieht, dann ist es eine traurige Misere! Selbst die Musiker der öffentlichen Konzerte scheinen das noch nicht begriffen zu haben und denken, es reicht, sich am Abend die Noten herzunehmen und herunterzuspielen. Und das in einer Stadt, in der Schubert wirkte, und Mozart und Beethoven! Ich dachte, als die Gesellschaft der Musikfreunde gegründet wurde, nun würde sich etwas ändern, doch diese Herren sind leider auf ihrem Gebiet der Organisation ebensolche Dilettanten. Ich war beim Konzert zur Eröffnung des neuen Saals in den Tuchlauben, und was wurde gespielt? Lachner, von Mosel und Johann Nepomuk Hummel! Nun gut, auch ein wenig Rossini, aber kein Haydn, kein Schubert, kein Mozart, kein Beethoven! Das sind die »österreichischen Musikfreunde«! Eine Ansammlung von Charakterlosigkeit wie es flacher nicht geht – die man aber mit mäßigen Musikern gerade noch so zusammenstückeln kann! – Was ist? Lachen Sie mich aus?«
»Nein, ich finde Sie ganz reizend, wenn Sie sich so in Rage reden, dass Ihre Wangen glühen. Zürnen Sie mir nicht, Fürstin, Sie sprechen mir aus der Seele, und deshalb schlage ich vor, dass wir diesen Ort des Schreckens nun unauffällig, aber rasch verlassen.« Der Graf reichte ihr die Hand, und die verblüffte Fürstin ließ sich von ihrem Sessel aufhelfen.
»Ja aber, wohin wollen Sie gehen?«
»Gehen? Nicht gehen. In den Prater fahren, Ihre wundervollen Füchse ausgreifen lassen. War das nicht in Ihrem Sinn?«
»Jetzt? Es ist mitten in der Nacht!«, protestierte Therese, die nicht glauben konnte, dass dieser Vorschlag ernst gemeint war.
»Es ist gerade einmal elf Uhr«, berichtigte sie der Graf, »der Mond scheint hell, und wenn wir uns ein wenig beeilen, können wir vor Mitternacht im Prater sein. Ober möchten Sie lieber noch eine Weile dieser ergötzlichen Musik lauschen?«
Er zuckte zusammen, als der rheinische Graf wieder einmal danebengriff.
Nein, das wollte sie nicht! Eine unglaubliche Freude ergriff Therese, als sie die eisige Hand des Grafen umfasste und sich aus dem Salon führen ließ.
War das nicht ganz und gar unglaublich? Sie sollte noch in diesem Augenblick dieser schrecklich langweiligen Gesellschaft entfliehen, um mit dem Grafen eine nächtliche Ausfahrt zu wagen? Sie musste träumen. Solche Dinge gehörten nicht zu ihrem Leben. Und doch konnte sie ganz deutlich seinen starken Arm unter ihrer Hand spüren. Wer hätte gedacht, dass diese Nacht noch solch eine Überraschung für sie bereithalten würde? Die Lust des Verbotenen prickelte wie Champagner in ihr und ließ ein helles Lachen in ihr aufsteigen.
Der Graf half ihr in ihren Pelzmantel und reichte ihr Handschuhe und Muff. »Durchlaucht, sind Sie bereit?«
»Ja!«, sagte sie und sah strahlend zu ihm auf. »Lassen Sie es uns tun!«
Und während sie an seinem Arm das Palais verließ, fühlte sie sich wieder jung und unbeschwert, als wären die Jahre wie eine Last von ihr abgefallen.
Therese sah nicht zurück, weshalb ihr entging, dass ihr Gatte ihren Weggang wohl bemerkte und ihr einen finsteren Blick hinterherschickte.
10. Kapitel
Nächtliche Ausfahrt
Das war unglaublich!« Trotz der Kälte der Nacht glühten die Wangen der Fürstin vor Hitze und Begeisterung. »Ich würde noch eine Runde wagen, aber ich fürchte, sowohl
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