Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
Rachegelüste von damals noch einmal fiebrig auf.
»Ich brach wie ein Todesengel durch die Reihen des Gegners. Fragt mich nicht, wie und was ich dafür anstellen musste? Wen ich wie dafür tötete? Aber irgendwann stand ich vor Chen im Ring der Kanonen und stieß ihr mein Schwert bis zum Heft in die Brust.«
Whistle stützte sich auf. Er sah, wie das Blut aus der Tomahawkwunde auf die Tischplatte tropfte.
»Das war der Sieg und das Ende zugleich. Denn wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.« Er versuchte ein Lachen, was ihm nicht gelang. »Und ich hatte an diesem Tag meine Seele verkauft.«
Whistle erstarrte, als wäre er tot.
KEIN ANDERER WEG
histle saß wieder an seinem Platz. Salome und Ophelia hatten sich seiner erbarmt und ihn zum Kopf der Tafel geführt. Es war ein Bild der Verzweiflung gewesen. Der alte, gebrochene, sterbende Mann in den Armen der beiden schluchzenden Damen. Doch am schrecklichsten ging es Hannah. Sie, die in Silber und Diamanten erstrahlte. Sie, die so aussehen wollte wie die aus dem Eis gemeißelte Chen. Sie hätte so gern mit den Damen getauscht. Sie hätte so gern mit ihnen gelitten. Mit ihnen und Whistle. Doch sie konnte es nicht. Denn in Wirklichkeit hatte sie nur einen Gedanken:
Was wird aus dem Ring an meinem Finger?
Sie befühlte das Schmuckstück aus Eisen, Silber und Jade. Sie strich über den Drachen und seinen Kopf, das Siegel aus schwarzer, geschliffener Lava, und sie spürte die Kraft, die in ihm wohnte. Die aus ihm strömte und sie durchfloss. Sie dachte an Chens verächtliche Worte: »Oh Gott, Libertaria! Das ist langweilig, hörst du? Das ist, als ob man mich lebendig begräbt. Ich brauche die Neugier und die Horizonte. Ich brauche den Kampf, damit ich mich spüre.«
Ja, sie war wie Chen und so wollte sie bleiben. Sie wollte den Ring. Trotz allem wollte sie ihn. Trotz aller Verzweiflung, allem Kummer und Leid.
Da erwachte Whistle aus seiner Ohnmacht.
»Ich war der , den der Teufel wollte«, erzählte er weiter, als wären seit seinem letzten Satz nicht Minuten verstrichen. »Chen hatte nur als Köder gedient und indem ich sie tötete, lief ich in die Falle. Ich tat, was der Teufel wollte: Ich tötete meinen eigenen Traum. Ich tötete alles, was ihn und die Hölle bedrohte und gab ihm stattdessen den Schlüssel zur Macht. Ich, sein einziger Gegner, wurde wie er und weil ich das Spiel durchschaute, rief ich die letzten Getreuen zusammen. Bevor ich vom Peste Angelica zu Blind Black Soul Whistle mutierte, ernannte ich sieben von ihnen zu Wächtern und gab ihnen die sieben Dinge, die sich niemals wieder vereinen sollten: den goldenen Diskus, die vier Teile der Rose der Aweiku, den Ring und das Siegel. Dann schickte ich sie fort, um sie über die Welt zu verteilen. Um sich vor mir zu verstecken. Denn ich wusste, ich würde noch schlimmer werden als Chen. Ich war wie ein Mensch, der von einem Vampir gebissen, versucht, seine Freunde zu retten, bevor er sich blutrünstig auf sie stürzt. Und so jagte ich schon drei Tage später über die Meere, um sie zu jagen. Und wenn es auch Jahre dauerte oder Jahrzehnte. Ich fand sie fast alle und tötete sie.«
Er schenkte Will ein teuflisches Lächeln.
»Von diesem Tag an wurde ich niemals wieder Angie genannt. Merk dir das, Wilfried Zacharias Karl Otto Stupps! Ich hatte das Gegenteil von dem erreicht, was ich wollte. Ich hatte die Welt zur Hölle gemacht und war noch immer hungrig. Ich war noch immer gierig. Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlt, satt zu sein. Satt und zufrieden. Ich wollte immer noch mehr und deshalb verbündete ich mich mit dem Menschen, der mir dabei helfen konnte. Mit Talleyrand, dem Schwarzen Baron, diesem humorlosen Giftzwerg, der uns doch beinahe erst gestern um ein Haar getötet hätte.«
Whistle lachte vergnügt, als wäre das nur ein makabrer Witz.
»Und damit euch nicht dasselbe Schicksal ereilt, werdet ihr heute gemästet. Ich will, dass ihr platzt. Ich will, dass ihr nie mehr vergesst, wie wunderbar es sich anfühlt, so fürchterlich, schrecklich satt zu sein.«
Er nahm ein großes Stück Schokoladenkuchen und legte es auf seinen Teller.
»Und wenn ich jetzt die Torte esse, denke ich daran, wie Will und Hannah mich erlösten. Ich denke an Hannahs Kuss auf dem Fliegenden Rochen, mit dem sie Will gerettet hat. Er trieb die ersten Risse in mein versteinertes Herz. Ich denke an Wills leidenschaftliche Rede, während Hannah und er gefesselt vor mir auf zwei Planken standen. Damals vor der
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