Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
zwingen, seine Liebeskummerklage zu hören, wichen sie aus, erzählten ihm Witze und wenn er nicht lachen konnte, sahen sie mitleidig durch ihn hindurch.
Will glaubte, dass er verrückt werden müsste. Doch zwei Tage später, am Abend des siebten Tages ihrer Reise nach Irland – der Rochen sprang wie ein fliegender Fisch über die endlose Weite des Ozeans – verließ ihn die Kraft und er fiel wie ein Stein in einen zweiundsiebzig Stunden dauernden Schlaf. Doch das Lächeln auf seinem Gesicht war das eines Kindes: so glücklich und leicht, dass selbst Hannah stutzte, als sie am zehnten Tag ihre Kajüte verließ und vor die Hängematte trat.
Sie konnte nicht anders. Sie musste dieses Lächeln mit ihren Fingern berühren und als sie das tat, wachte Will sofort auf.
Er trug nur seine Hose und ein offenes Hemd und als er sich reckte und streckte, spannten sich die Muskeln unter der von der Sommersonne gebräunten Haut. Doch bei all dieser Kraft blieb sein Lächeln ganz sanft. Es tanzte in seinen himmelhellblauen Augen und wurde lausbubenhaft verschmitzt, als er erkannte, wer ihn jetzt weckte.
»Hi!«, grinste Will, blies die blonden Strähnen aus dem Gesicht und blinzelte gegen die Sonne. »Ist es so hell, dass ich keine Farben mehr sehe oder ist jemand, während ich schlief, gestorben?«
Er musterte Hannah, denn die Piratin trug Schwarz. Mattschwarze Stiefel mit schmucklosen Stulpen. Eine Leggins aus Leder und der Rock und die Rüschen des ebenfalls tiefschwarzen Hemdes verschmolzen zu einem Kleidungsstück. Selbst die Maske, die ihre Augen und die halbe Nase bedeckte, war aus pechschwarzem Samt und darüber thronte, was Will nicht gefiel und was sein Lächeln verscheuchte – wohl zu Ehren von Nat –, eine Waldläufermütze aus blauschwarzem Fell.
»Ein Hut steht dir besser«, stichelte Will, um seine gute Laune zu bewahren. »Oder hast du dich in den letzten zehn Tagen entschlossen, Süßwasserpirat zu werden?«
»Nun, wer was wird, das werden wir sehen«, antwortete Hannah trocken und wankte kein bisschen, als der Rochen mit seinem letzten Sprung ächzend und Gischt spritzend in die Wellen schlug. »Wir sind nämlich da. Das da ist Rum Bottle Bottom.«
Sie deutete mit den Augen über die Schulter zur Steuerbordseite und Will, dessen Lächeln verschwunden war, kletterte aus der schaukelnden Matte. Hannah machte ihm Platz und er trat an die Reling und schaute von dort über das raue Meer. Vor ihm erhob sich eine riesige Felswand, pechschwarz, zerrissen, als hätte ein wütender Riese das Land mit seiner Axt gespalten. Ja, und von dem abgespaltenen Land ragte nur noch ein Turm aus den tosenden Wellen. Von Klippen umgeben stemmte er sich gegen den Sturm. Er schluckte das Licht der Nachmittagssonne wie ein Schwamm, der das Wasser aufsaugt und dadurch noch dunkler wird. Und obwohl der Himmel wolkenlos war, war dieser in die Wellen gerammte Haufen aus ineinander verkeilten Felsnadeln der Ort, an den Will auf keinen Fall wollte.
»Dagegen ist Coffin Nail Island ein schnuckliger Garten, in dem man nur zu gern picknicken will!«, lächelte Hannah, als sie neben ihn trat. »Dabei haben wir Glück. Das Wetter ist prächtig. Du solltest den Steinhaufen mal bei Regen sehen. Bei Sturm und bei Regen.« Sie ging zu einem Boot, das die vier jüngeren Twins, Tabea, Tujana, Tule und Teh für sie an einen Kran gehängt hatten, und sprang auf die Ruderbank.
»Aber in Coffin Nail Island verliert man ja auch nur den Verstand. Den Verstand und die Würde.« Sie stand auf der Bank und hielt sich am Seil fest, während ihre Mädchen sie mit dem Boot hochzogen. »Was ist?«, fragte sie spöttisch. »Ich muss da nicht rüber. Ich habe ein Schiff. Ich bin schon Käpten und ich werde auch von niemandem Otto genannt!«
Sie nickte den Twins zu und die schwenkten den Kran. Sie hievten das Boot über die schwankende Reling und ließen es von dort ins Wasser hinab. Da packte Will seinen Rock, schlüpfte hinein, kramte dabei die Mütze, die Pistolen, Whistles japanische Schwerter und die zwei Dutzend Waffen zusammen, die er sonst noch an seinem Körper trug, und sprang hinter Hannah her. Er landete in dem Boot, als es auf den Wellen aufschlug, und saß noch nicht richtig im Heck, als ihm die Piratin ein Paddel zuwarf.
»Wenn du weiter so trödelst, lebst du nicht lange. Und ich auch nicht, verfuchst. Dann wird mich mein eigenes Schiff zermalmen.«
Will schaute nach links und sah, wie die Wellen den mächtigen Rumpf des Rochens zuerst hoch
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