Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
das Baby weggebt, riskiert ihr, dass es stirbt.«
»Er hat recht.« Mama Elo drückte das Kleine noch ein wenig fester an sich und verstärkte damit dessen Gebrüll. »Das Kind ist ein Mischling. Seht, wie viel heller seine Haut als meine ist. Und Mischlinge sind nirgends wohlgelitten.«
Ruth kämpfte mit den Tränen. »Es bleibt hier«, flüsterte sie. »Es bleibt bei uns. Wir haben es auf unserer Farm gefunden, wir sind für es verantwortlich. Es bleibt hier und wird ein Teil unserer Familie.«
»Ruth!« Rose hob die Hände. Ihr Gesicht war mit einem Mal ganz bleich. »Dieses Kind bleibt auf gar keinen Fall hier. Was sollen die Leuten sagen? Erst der schwarze Verwalter, und jetzt dieser ... dieser Bastard! «
»Es bleibt hier.« Ruths Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sie bereit war, das fremde Kind auch vor ihrer eigenen Familie zu schützen und gegen Angriffe zu verteidigen. Seine Zerbrechlichkeit, seine Hilflosigkeit und der Umstand, dass es so einsam und verlassen in der Hütte gelegen hatte, hatten in ihr einen Mutterinstinkt geweckt, von dem sie nie vermutet hätte, dass er in ihr schlummern könnte.
Rose trat auf sie zu, fasste sie vorsichtig bei den Schultern und rüttelte sie ein wenig. »Wach auf, Ruthi«, sagte sie. »Wir können das Kind nicht behalten. Es gehört uns nicht. Stell dir vor, die Mutter will es wiederhaben. Du weißt doch, was passiert, wenn ein fremdes Lämmchen sich auf unsere Weiden verirrt. Wir müssen es zurückgeben. Mit Kindern scheint mir das ähnlich zu sein.«
Ruth sah ihrer Mutter fest ins Gesicht. »Das Kind bleibt. Wenn du damit Schwierigkeiten hast, wenn du meinst, nicht einmal mehr mit einem unschuldigen Baby unter einem Dach leben zu können, dann müssen wir dir in Swakopmund ein Haus suchen.«
»Was?« Rose fiel die Kinnlade hinunter. »Ich glaube nicht, was ich da eben gehört habe.«
»Doch, Mutter. Das kannst du ruhig glauben. Geh nach Swakopmund. Dort wolltest du doch schon immer lieber leben als hier auf der Farm. Ein Haus in Swakopmund war immer dein Traum.«
Roses Augen blitzten gekränkt. »Du willst mich rauswerfen?«
Ruth wusste, dass ihre nächsten Worte gehässig waren, aber sie konnte nicht anders. Dass ihre Mutter tatsächlich verlangte, dass sie einen wehrlosen Säugling einfach wegschickte, war so ungeheuerlich, dass sie nicht an sich halten konnte: »Oder war es gar nicht das Haus, sondern der Wohlstand, das feine Leben, das du dir von Corinne versprochen hast? War es das, Mutter? Und nun weißt du, dass sie arm ist wie eine Kirchenmaus, dass es nie ein vornehmes Leben in Swakopmund gegeben hat, und deshalb bleibst du hier bei deinen neuen Vorhängen und dem teuren Geschirr. Du bleibst einfach da, wo das Geld ist. Ein Kind, zumal ein schwarzes, stört da nur, nicht wahr? Am Ende zerschmeißt es noch ein Teil deines guten Porzellans oder spuckt dir auf dein Chanelkostümchen!«
»Ruth, bitte hör auf.« Horatio legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie an sich. Aber Ruth war nicht bereit, sich zu beruhigen, obgleich sie wusste, dass ihre Vorwürfe zum Teil ungerecht waren. Ihr Körper bebte vor mühsam unterdrücktem Zorn, als sie weitersprach: »Ich lasse kein Kind im Stich. Und schon gar keins, das wir hier auf der Farm gefunden haben. Es wird Sally heißen. Nach Salden’s Hill.« Sie sah zu Horatio, der sie noch immer im Arm hielt. »Kommst du mit einkaufen? Wir müssen einiges besorgen.«
»Ja!« Horatio schüttelte sich leicht, froh über die Aussicht, erst einmal hier wegzukommen. »Ja, natürlich komme ich mit.«
»Gut. Mama Elo und Mama Isa, ihr bewacht das Kleine. Und sorgt dafür, dass weder meine Mutter noch meine Schwester sich in seine Nähe wagen.«
Rose nickte ergeben, wandte sich ab und verschwand wortlos im Haus. Sie hatte schon immer gewusst, wann sie verloren hatte. Im Gegensatz zu Corinne.
»Aber Willem kommt! Was soll ich ihm sagen, wenn er das schwarze Kind hier sieht? Er wird es nicht hierhaben wollen. O mein Gott, Ruth! Ich habe es auch so schon schwer genug. Bitte! Bitte! Bring es weg. Meinetwegen wieder dorthin, wo du es gefunden hast. Willem kommt doch!«
»Wenn sich Willem an dem Kind stört, soll er in der Stadt bleiben.«
Corinne ließ nicht locker. »Was ist mit einem Waisenhaus? Die Kinder dort haben es gut.«
»Nein! Sally ist kein Waisenkind. Sally wurde auf Salden’s Hill geboren; sie gehört hierher. Und wenn du noch einmal das Wort ›Waisenhaus‹ in den Mund nimmst, dann statte ich
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