Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
der Zwischenzeit auch ohne Wüstensand Straßen entstanden«, gab Rose zu bedenken.
»Medizin! In der Medizin braucht man Sand. Horatio hat es selbst gesagt.«
»Ach? Sollen sie bei Tuberkulose ein bisschen Wüstensand einatmen?« Rose konnte über so viel Dummheit nur den Kopf schütteln.
»Natürlich nicht.« Es fiel Willem sichtlich schwer, seinen Ärger zu zügeln. Eine blaue Ader zeichnete sich an der rechten Seite seiner Stirn ab und wurde von Moment zu Moment dicker. »Rheuma. Die Europäer haben allesamt Rheuma. Das kommt vom Klima. Es regnet ja andauernd dort, und das feuchte Wetter geht auf die Knochen. Man könnte die Rheumapatienten in eine Badewanne voll Wüstensand stecken. Ich bin überzeugt, das würde sie heilen.«
»Ja, aber es reicht nicht, dass du davon überzeugt bist, Willem. Ich glaube, wichtiger wäre es, die Ärzte wären von deiner Behandlung überzeugt. Und natürlich die Patienten.« Ruth hatte versucht, ihren Worten keinerlei Häme beizugeben, aber sie wusste, dass es ihr nicht besonders gut gelungen war, als Willem seine Dessertschüssel so heftig über den Esstisch schob, dass sie mit der Blumenvase kollidierte.
»Es ist immer dasselbe«, knurrte er. »Ihr habt hier draußen von nichts eine Ahnung. Es wundert mich, dass ihr hier überhaupt schon erfahren habt, dass der Krieg in Europa zu Ende ist. Immer wenn jemand mit neuen Ideen kommt, habt ihr nichts Besseres zu tun, als ihn zu verspotten. Fortschritt ist für euch doch ein Fremdwort. Hier auf der Farm werden Innovation und freies Unternehmertum zu Grabe getragen.«
Rose zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Das mag schon sein, lieber Schwiegersohn. Doch warum erzählst du uns dann so ausführlich von deinen Geschäftsideen? Ist das nicht, wie Perlen vor die Säue zu werfen?«
Willem ließ enttäuscht die Schultern sinken. »Ja, wahrscheinlich. Ich dachte nur, wir sind eine Familie, in der man sich für das interessiert, was der andere tut und denkt.«
Kurz herrschte Schweigen am Tisch. Er hat recht, dachte Ruth. Ausnahmsweise einmal hat er recht. Ich möchte wissen, ob das in anderen Familien ähnlich ist. Sie sah zu Horatio. Wie war es bei ihm zu Hause? Wie hatte er bei seiner Familie gelebt? Mit einem Mal fiel ihr auf, dass sie von seiner Familie fast nichts wusste. Gleich nachher würde sie ihn danach fragen.
Schließlich lehnte sich Rose in ihrem Stuhl zurück, legte die Hände vor sich auf die Tischplatte. »Gut. Ich interessiere mich jetzt für den Unfug, den mein Schwiegersohn ausheckt. Vor allem, da ich ahne, wohin deine Ausführungen zielen, mein Lieber. Doch vorher sag mir eins: Wenn deine Idee so genial und die Ausführung deines Unternehmens so denkbar einfach ist, warum ist dann nicht schon früher jemand darauf gekommen?«
Willem verzog den Mund wie ein trotziges Kind. Beleidigt murmelte er: »Willst du damit sagen, dass du mir nicht zutraust, etwas Neues, Einmaliges aufzuziehen?«
»Nun«, Rose lächelte vornehm und legte eine Hand auf Corinnes Hand, »meine Tochter lebt am Rande der Armut und wird seit Wochen hier mit durchgefüttert und eingekleidet. Ich will nur sagen, dass es für eine anspruchsvolle Frau wie sie sehr schade ist, wenn deine Genialität sich erst jetzt entfaltet.«
Willem warf einen verärgerten Blick zu Corinne, die ihre Unterlippe vorgestülpt und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. »Hast du dich etwa beklagt?«
Corinne duckte sich und schüttelte stumm den Kopf.
Mit einem Mal empfand Ruth Mitleid mit ihrer Schwester. Warum kriecht sie so vor ihm?, überlegte sie. Hat sie etwa Angst? Vor Willem? Was hat sie zu verlieren?
»Du siehst selbst, teure Rose, wie ihr hier denkt. Ihr zieht fremde Kinder auf, vergrabt mit Mist gefüllte Kuhhörner, als wäre der Dünger noch nicht erfunden. Das Einfachste, meine Liebe, ist das, was direkt vor deinen Füßen liegt. Sand. Man muss aus den Dingen etwas machen, die man hat. Das ist die Kunst. Und im Übrigen lebt meine Frau keineswegs am Rande der Armut. Ganz und gar freiwillig ist sie hierhergekommen, um euch zu helfen. Ihre Freundinnen in Swakopmund fragen ständig nach ihr. Beinahe jeden Tag trudeln Einladungen für sie ein. Aber ihr ist die Familie wichtiger als aller Glamour.«
Ruth war erstaunt, dass Corinne es fertigbrachte, zu nicken.
»Das Einfachste ist das, was direkt vor deinen Füßen liegt«, wiederholte Rose inzwischen ungerührt. »Ja, da hast du wohl recht. Das Einfachste ist oft aber auch das Schwierigste. Und
Weitere Kostenlose Bücher