Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
einer Dreißigjährigen. Vom Frühstück bis zum Mittagessen habe ich die Energie einer Dreißigjährigen. Den Rest des Tages aber bin ich eine alte, müde und einsame Frau. Und leider gibt es nur einen Weg, die Müdigkeit und Einsamkeit zu bannen. Es gibt nur einen Weg für mich, endlich mein eigenes Glück zu finden: Horatio und das Baby müssen weg. So schade es auch um die beiden ist, aber sie sind schwarz und werden es immer bleiben. Sie auf Salden’s Hill – das wäre mein gesellschaftlicher Ruin.
Ruth lag im Bett. Sie hatte sich an Horatios Brust geschmiegt, die schlafende Sally zwischen die nackten Körper gebettet. »Sie schläft so ruhig«, flüsterte sie. »Nach allem, was ihr widerfahren ist, schläft sie wie ein Engel.«
»Sie ist noch so winzig. Sie vergisst. Wenn sie größer wird, wird sie glauben, sie hätte nie eine andere Mutter als dich oder einen anderen Vater als mich gehabt.«
»Ja. Aber ich möchte zu gern wissen, wer ihre Eltern sind, wo sie herkommt. Nicht nur für mich ist das wichtig, auch für sie, später einmal, verstehst du?«
»Natürlich verstehe ich das, aber ich weiß nun einmal, wie die Nama sind. Wahrscheinlich ist Sallys Vater ein Weißer. Und ein Weißer wird sich hüten, einen schwarzen Bastard anzuerkennen. Ich frage mich nur, was mit der Mutter ist. Sie kann das Mischlingskind nicht mit in ihr Dorf nehmen; es würde auf der Stelle zu einem Heiler gebracht, die Mutter selbst wahrscheinlich verstoßen. Trotzdem verstehe ich sie nicht. Will sie denn gar nicht wissen, wie es ihrem Baby geht?«
Horatio schüttelte verständnislos den Kopf.
»Vielleicht«, erwiderte Ruth so leise, dass Horatio sie kaum verstehen konnte, »vielleicht kann die Mutter sich nicht um ihr Kind kümmern. Vielleicht ist sie irgendwie ... verhindert.« Sie streichelte dem Kind behutsam das Köpfchen. »Ich war noch nie so glücklich wie jetzt. Mit Sally und mit dir. Ich möchte, dass es immer so bleibt. Nichts soll sich verändern. Du und ich und Sally und die Farm. Glücklich bis an unser Lebensende.«
Horatio holte Luft. »Es wird nicht so bleiben, mein Herz.«
»Warum nicht?«, flüsterte Ruth, obwohl sie die Antwort kannte, bevor Horatio sie aussprach.
»Weil wir nicht wie die anderen sind. Wir sind zweifarbig. Mit Sally sogar dreifarbig. Schon in ein paar Tagen werden die ersten Schwierigkeiten auftauchen.«
Ruth hob den Kopf. »Was meinst du damit?«
»Wir müssen Sally anmelden. Sie braucht Papiere. Vielleicht willst du sie taufen lassen. Und sie braucht ein paar Impfungen. Wir müssen sie also zu einem Arzt bringen.«
»Gut. Dann werden wir sie eben anmelden. Das ist zeitraubend, aber wohl notwendig.«
»Und was willst du sagen?«
»Dass sie unsere Tochter ist.«
»Du willst sagen, dass du ein schwarzes Kind zur Welt gebracht hast?«
»Was denn sonst?«
»Du weißt, dass es verboten ist, mit einem Schwarzen ein Kind zu haben. Du weißt, dass du ausgestoßen werden wirst. Es kann sogar sein, dass die Leute dich eine Hure nennen und dich anspucken. Außerdem warst du nicht schwanger. Wer soll dir glauben, dass Sally dein Kind ist, dein Fleisch und Blut?«
Ruth verzog den Mund. »Es ist mir gleichgültig, was die Leute glauben. Ich war noch nie wirklich schlank. Ich werde ihnen erzählen, dass meine Schwangerschaft deshalb vielleicht nicht so augenfällig war. Jeder glaubt sowieso das, was er glauben möchte. Und deshalb ist es eigentlich gleichgültig, was wir erzählen, ist es egal, ob ich schwanger war oder nicht. Jetzt bin ich jedenfalls Sallys Mutter.«
»Nie wieder, Ruth, hörst du, nie wieder wird dein Leben so sein, wie es war. Kein weißer Mann wird dich jemals wieder ansehen. Sallys Mutter zu sein bedeutet mehr als eine normale Mutterschaft. Hast du dir das genau überlegt? Weißt du wirklich, was du da tust?«
Ruth seufzte. »Nein, weiß ich nicht. Und ich möchte auch nicht darüber nachdenken. Denn wenn ich das täte, verlöre ich womöglich den Mut. Mama Elo und Mama Isa haben mich gelehrt, immer das zu tun, was nötig ist. Und jetzt ist es nötig, für Sally ein Zuhause zu schaffen. Mit dem Rest befasse ich mich, wenn es so weit ist.«
»Dann lass uns heiraten«, schlug Horatio leise vor.
»Kein Priester würde uns trauen. Schon vergessen: Eine Ehe zwischen Schwarzen und Weißen ist verboten. Du hast es eben selbst gesagt.«
»Wir könnten im Ausland heiraten. Auf Kuba zum Beispiel. Dort ist es egal, welche Hautfarbe ein Mensch hat.«
»Das stimmt. Aber wir
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