Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
die Ahnen, auf dass sie besänftigt sind.«
Dann kam ein junger Mann, füllte einen Becher und brachte diesen dem Schamanen. Der trank, zuerst langsam wie einer, der im Sterben lag, dann schnell, als würde mit jedem Schluck Lebenskraft in seinen dürren Körper strömen. Er erhob sich, richtete sein Amulett und setzte sich neben den Ältesten in den Feuerkreis.
Nachdem alle aus der Kalebasse getrunken hatten, ergriff der Älteste das Wort. »Brüder, wir haben euch rufen lassen, weil Ungeheuerliches vorgeht. Ihr habt die Legende gehört. Eine Legende, die uns die Ahnen geschrieben haben. Sie ist wahr. Noch in unseren Tagen. Thala ist zur Löwin geworden, hat Mann und Kind verloren. Doch wir Nama sind über unsere Legenden hinausgewachsen. Wir dulden nicht mehr, wir handeln.«
Er schwieg einen Augenblick, musterte nacheinander die schwarzen Gesichter, in welche die Flammen kupferfarbene Schatten zeichneten. »Wir dulden nicht mehr, wir handeln«, wiederholte er, und die Männer trommelten mit ihren harten Fersen auf den Boden.
Horatio schob seine Brille nach oben. »Erlaubt, Vater, dass ich frage. Aber was meint ihr damit? Was bedeutet ›handeln‹?«
Das Gesicht des Schamanen verdunkelte sich. Er hatte seit seiner Trance noch kein Wort gesprochen. Jetzt aber schwang er die Peitsche und schlug damit so heftig ins Feuer, dass die Funken bis zu Horatio stoben. »Das Löwenkind ist tot.« Er spuckte diese Worte in Horatios Richtung. »Das Löwenkind hatte Kräfte. Ahnenkräfte.«
Horatio lächelte, verbeugte sich. »Verzeiht meine Unwissenheit. Aber heißt es nicht: Menschen mit Ahnenkräften müssen vorausgehen, um den übrigen den Weg auf die andere Seite zu weisen?«
Im Kreis der Männer erhob sich unwilliges Gemurmel, die Frauen blitzten Horatio wütend an.
Der Älteste hob den Arm zur Besänftigung. »Ama ist nicht freiwillig gegangen. Sie wurde dazu gezwungen, das ist etwas anderes. Und es geht auch nicht nur um Ama. Es geht um alles.«
Horatio nickte.
Der junge Mann, der wie Horatio wie ein Städter gekleidet war, erhob sich. »Es gibt Unruhen im Land. Wir Schwarzen werden die Ungerechtigkeit der Apartheid nicht mehr hinnehmen. Wir wollen das Land zurückhaben, das uns einst gehörte. Wir wollen bestimmen, was in unserer Heimat geschieht. Wir wollen keine Menschen zweiter Klasse mehr sein, den Weißen nicht Platz machen müssen auf dem Bürgersteig, im Bus, in der Bahn. Unsere Kinder sollen lernen, was sie brauchen. Eigene Schulen wollen wir. Und heiraten, wen wir wollen. Die Weißen sollen das Gleiche tun, das wir auch tun müssen. Eine jede schwarze Familie soll weiße Frauen haben, die für sie kochen und die Toiletten putzen. Ein jeder schwarze Mann hat das Recht, von den weißen Männern ›Bass‹ genannt zu werden. In der Kirche wollen wir vorn sitzen, und die Leute, die uns regieren, sollen schwarz sein. Es ist an der Zeit, die Ahnen zu bitten, uns Kräfte für einen Kampf zu schicken. Jetzt!«
Seine Worte waren flammend gewesen, und einige der anderen Nama-Männer hatten dazu mit den Fersen ihre Zustimmung in den Boden getrommelt.
Horatio war aufgesprungen. »So wird kein Frieden gemacht! Niemand soll des anderen Herr und niemand Knecht sein. Schwarz und weiß zusammen, nur so geht das.«
»Niemals!«, schrie der Städter. »Es kann immer nur einer sagen, wo es langgeht. Und dieser eine muss ab sofort ein Schwarzer sein.«
»Denk nach!«, forderte Horatio. »Die Weißen haben nicht nur Unheil und Leid gebracht. Sie verstehen etwas von Technik. Sie haben Ärzte, Ingenieure, Architekten. Wir brauchen ihr Wissen. Nur zusammen sind wir stark.«
»Bist du ein Knecht der Weißen?«, schrie der Städter. »Stehst auch du in ihrem Lohn? Wo hast du deinen Stolz, Bruder? Ich sage es dir klipp und klar: Es gibt kein Zusammen, es gibt nur ein Entweder-oder. Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Ich fordere dich auf: Wenn du kein Schwarzer mehr bist und sein willst, so verlasse dieses Feuer. Bleibst du aber, so gehen dich nur die Bedürfnisse der Schwarzen an. Die Weißen können sich um sich selbst kümmern.«
»Nein, Bruder, du denkst falsch. Die Weißen haben viel von dem, was wir brauchen ...«
»Schluss!« Der Schamane schlug mit der Peitsche ins Feuer. Sofort herrschte Ruhe. Nur der junge Mann brummelte noch etwas.
»Wir sind nicht hier, um Politik für die Städter zu machen! Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind hier, weil die Legenden wahr werden.«
Wieder erhob sich ein Gemurmel,
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