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Das Herz der Savanne - Afrika-Roman

Das Herz der Savanne - Afrika-Roman

Titel: Das Herz der Savanne - Afrika-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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mit ihren nackten Fersen einen Rhythmus auf den Boden. Erst leise, dann laut und immer lauter.
    Horatio bemerkte, dass die Lämmer auf den Weiden unruhig wurden, doch er wusste, dass niemand diese Zeremonie unterbrechen durfte. Langsam nahm der Rhythmus auch ihn gefangen. Ohne es zu wollen, stampfte er mit den Füßen auf den Boden, schüttelte die Knöchel, als ob auch daran Rasseln angebracht wären. Er fühlte nichts mehr, und er dachte nichts mehr. Alles in ihm war auf den Rhythmus gerichtet. Seine Füße bewegten sich ohne sein Zutun, hoben und senkten sich und stampften den uralten Gesang der Ahnen in den Boden, mit dem der Schamane Kontakt zu ihnen aufnahm.
    Horatio sah den Mann mit tänzelnden Schritten um das Feuer schreiten. Er sah auch die geschlossenen Augen der Frauen, das inbrünstige Trommeln der Männer. Ihm wurde heiß, ganz so, als ob eine Kraft frei würde, die sich über ihn, über die ganze Farm legte.
    Die Ahnen, dachte er. Sie sind womöglich doch mächtiger, als wir glauben. Er spürte eine Kraft in sich, die anders war, eine Kraft, der er sich nicht entziehen konnte, die aus seinem Inneren kam, aus den tiefsten Tiefen, und die von ihm Besitz ergriff. Die Kraft war der Herr der Dinge. Und nicht Horatio der Herr seiner Kräfte.
    Als Stadtmensch hatte Horatio noch nie an einem der alten Rituale teilgenommen. In der Stadt tat man so etwas nicht – auch weil in der Gegend, in der er aufgewachsen war, viele verschiedene Stämme zusammengewohnt hatten; da gab es außer den Nama die Herero, die Dama, die Damara, ein paar San und ein Dutzend Himba. Es war schwierig genug, die Unstimmigkeiten zwischen den Stammesgruppen auszubalancieren. Nein, in der Stadt war wirklich kein Platz mehr für die alte Lebensweise!
    In der Stadt, das begriff Horatio auf einmal, hatten die Weißen schon gesiegt. In der Stadt verlief das Leben nach den Regeln der Weißen, war geprägt von Arbeit und Erschöpfung, von Missmut und unterdrücktem Zorn.
    Horatio hatte nie in sich gespürt, was es hieß, ein Nama zu sein. Er wusste nur, wie es sich anfühlte, schwarz zu sein. Hier draußen aber, am Rande der Kalahari, spürte er das Blut der Ahnen auch in sich.
    Ein hoher Ton stieg auf, stieg hoch in die Luft und strömte über die Kameldornbäume, stieg höher bis zum Mond, der den Ton schwingen ließ und ihn erkaltet zurück auf die Erde warf.
    Horatio zitterte plötzlich. Er beugte sich vor, um zu sehen, woher der Ton kam. Es war Thala, die allein und außerhalb des Kreises stand und den Klagelaut in die Welt schickte, damit die Ahnen von ihrer Not hörten.
    Horatio wollte sich die Ohren zuhalten, so tief drang der Ton in ihn ein, rüttelte an seinem Herzen, rührte in seinem Magen, strich um seine Lenden und machte alles in ihm kalt.
    Er sah, wie die trommelnden Männer und die brummenden Frauen näher zum Feuer rückten, wie der Schamane die Arme hochwarf und mit den Augen rollte, er hörte die Peitsche knallen und sah, wie sich die Leute von den Funken berieseln ließen. Doch die Funken fingen kein Feuer, und plötzlich brach der Ton ab. Mit einem Schlag wurde es so still, dass Horatio sein eigenes Blut in den Ohren dröhnen hörte.
    Der Schamane taumelte aus dem Feuerkreis, ließ sich auf den Boden fallen und zuckte. Die Frauen öffneten langsam die Augen, die Männer hielten ihre Füße still.
    Der Älteste stand auf, nahm Thala beim Arm und führte sie in den Kreis. »Du bist wieder eine von uns, dein Herz wird heilen. Die Ahnen haben gesprochen«, sagte er.
    Die Frauen klatschten und jubelten, die Männer trommelten noch einmal mit den Fersen auf den Boden.
    Langsam trat Horatio aus dem Kameldornhain heraus und ging zum Feuer, zum äußeren Ring, in dem die Männer saßen.
    Ein Farmarbeiter, mit dem er oft schon die Felder gedüngt hatte, machte ihm Platz.
    Der Älteste aber zeigte mit dem Finger auf ihn. »Du kommst spät, Nama.«
    Horatio verbeugte sich. »Verzeiht, Vater. Ich wusste nicht, ob der Rauch auch einen ruft, der aus der Stadt kommt.«
    Der Älteste runzelte die Stirn. »Hast du von deinem Vater nichts gelernt? Ein jeder Nama ist gerufen.«
    Horatio verbeugte sich noch einmal: »Und ich bin gekommen. Vergebt mir die Verspätung.«
    Eine Kalebasse, die so groß war, dass sie nur von zwei Männern getragen werden konnte, wurde herbeigebracht und vor den Ältesten gestellt. Der fuhr mit der Hand hinein und goss ein wenig Amarula auf den Boden. »Das ist für die Ahnen«, sprach er. Die Frauen nickten. »Für

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