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Das Herz der Savanne - Afrika-Roman

Das Herz der Savanne - Afrika-Roman

Titel: Das Herz der Savanne - Afrika-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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flogen. Sein nackter Oberkörper glänzte im Schein der Flammen wie Kupfer. Er trug eine Kette um den Hals, die Horatio nicht genau erkennen konnte. Trotzdem wusste er, dass sie aus Zähnen und Krallen von Löwen und anderen großen Tieren bestand. Mitten auf der Brust baumelte ein Amulett, das an einem Lederband befestigt war; um die Knöchel des Mannes waren Lederriemen und Kupferringe geschlungen, außerdem Fußrasseln aus den Schalen verpuppter Falter. Um die Mitte des Leibes trug er ein Fell. Jetzt nahm er die Geisterpeitsche auf, die aus dem Schweif eines Weißschwanzgnus gefertigt war.
    Ein Stöhnen ging durch die Nama. Die ersten Frauen wiegten sich, der Schamane tanzte. Auch die anderen Frauen schlossen die Augen und wiegten sich, während die Männer ihre Fußrasseln anlegten.
    Plötzlich blieb der Schamane stehen und wies mit der Geisterpeitsche auf eine alte Frau. »Sag uns, was die Ahnen dir anvertraut haben!«, rief er und schüttelte die Beine, sodass die Fußrasseln klackerten.
    Auch die anderen Männer begannen zu rasseln. Mit einem Schlag der Geisterpeitsche beendete der Schamane den Lärm und deutete wieder auf die alte Frau. Es war Amas Großmutter.
    »Haben die Ahnen zu dir gesprochen?«, fragte der Schamane und berührte mit der Spitze der Geisterpeitsche die Stirn der alten Frau.
    »Ja, das haben sie.«
    »Was hast du erfahren?« Die Stimme des Schamanen klang tief und dunkel.
    »Es sind die alten Legenden, aus denen wir lernen müssen. Noch heute.«
    Der Schamane nickte, berührte mit der Peitsche sanft die Schultern der Frau, dann begann sie zu erzählen:
    »Die Ahnen haben unseren Ahnen eine Gabe gegeben, die wir verloren haben. Aber zu den alten Zeiten, da konnten sich die Nama verwandeln. Namafrauen konnten in der Not zu einem Strauß werden, zu einem Nashorn oder einem Webervogel.
    Einmal saßen ein Mann und eine Frau vor ihrer Hütte, genau wie vor Kurzem Santo und Thala. Sie hatten ein Kind, das sie sehr liebten.
    Es herrschte eine große Dürre, und Menschen und Vieh gingen zugrunde. Die Frau und der Mann bangten um das Leben ihres Kindes, vergaßen darüber den eigenen Hunger. Da sahen sie weit draußen in der Kalahari eine Oryxantilope laufen. Und der Mann sagte: ›Wenn ich ein Löwe wäre, so könnte ich die Antilope für uns jagen.‹
    Er wusste ja, dass seine Frau sich in jedes beliebige Tier verwandeln konnte.
    Und seine Frau verstand den Hinweis und erwiderte: ›Unsere Not ist noch nicht groß genug, Mann. Meine Verwandlung wird dir nicht gefallen. Es kann sein, dass wir damit unser Unglück noch vergrößern.‹
    ›Wie groß soll unser Unglück denn noch werden, Frau?‹, sprach der Mann. ›Meine Kräfte schwinden, und unser Kind wird sterben. Worauf wartest du noch? Mach dir keine Sorgen um mich. Ich werde deine Verwandlung schon aushalten.‹
    Da erhob sich die Frau vom Feuer, reckte und streckte die Glieder, und der Mann sah zu, wie ihr ein Fell wuchs und Krallen sich durch die Füße reckten. Sie fiel auf alle viere, pirschte sich an die Antilope heran, riss sie und brachte das Tier mit blutigem Maul zum Feuer.
    Der Mann aber hatte am Feuer gesessen, mit starren Augen auf sein Weib geblickt. Und als ihre Zähne sich in den Hals der Antilope schlugen, als das Blut ihr aus dem Maul troff, da erschrak er so, dass er aufsprang und dabei das Kind ins Feuer stieß. Der Mann kümmerte sich nicht darum, sondern rannte, rannte, rannte ...
    Die Löwin aber legte die Antilope ab und wurde wieder zur Frau. Sie fand die Feuerstelle leer, im Feuer ihr Kind. Es war tot, und sie war allein.«
    Die Frauen am Feuer heulten auf, wiegten ihre Oberkörper hin und her. Die Männer zischten durch die Zähne. Nur einer, den Horatio noch nie auf der Farm gesehen hatte und der städtische Kleider trug, sprang auf. »Was willst du damit
    sagen?«, herrschte er die alte Frau an. »Soll das heißen, dass jeder Schwarze ein Löwenleben mit dem Leben seiner Kinder bezahlen muss? Ist es das? Sollen wir ausharren und zusehen, wie unsere Töchter vergewaltigt werden?«
    Die anderen Männer heulten ihre Zustimmung und schlugen dazu ihre Fußrasseln.
    Der Schamane schwang die Peitsche und begann, langsam zu tanzen. Er drehte sich um das Feuer, hielt die Augen geschlossen und gab brummende Töne von sich. Hin und wieder hieb er mit der Peitsche in die Flammen, dass die Funken hoch aufstoben.
    Zuerst fielen die alten Frauen in seinen Brummgesang ein, dann die jungen. Und schließlich stampften die Männer

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