Das Herz der Wueste
Schritte entfernt war. „Zurzeit werden große Kanister angeliefert, um die Menschen hier zu versorgen, und wir rationieren das Wasser. Leider weiß niemand, woher es kommt, und manche Behälter wirken nicht besonders sauber. Wir weisen immer wieder daraufhin, dass das Wasser abgekocht werden soll, aber ob es auch alle tun …“
Wieder das düstere Stirnrunzeln, das sie inzwischen fast gewohnt war, ehe Kamid sich setzte, mit einer fließenden Bewegung, die Beine gekreuzt.
Sein Schweigen zerrte an ihren Nerven.
„Aber vielleicht gibt es auch gar kein Grundwasser, sodass eine Bohrung sinnlos ist“, redete sie weiter.
Die Falte zwischen den Brauen wurde noch tiefer. „Wasser sollte es geben“, antwortete er schließlich. „Die Wadis, die Trockentäler, an denen Dattelpalmen wachsen, werden von unterirdischen Flüssen aus den Bergen gespeist.“
Damit endete das Gespräch. Jenny hatte den Eindruck, dass er mit seinen Gedanken auf einmal ganz woanders war, und musterte ihn, während er stumm in die Ferne blickte. Eine leichte Melancholie beherrschte seine Züge, gemischt mit Entschlossenheit, und sie fragte sich, was ihm wohl durch den Kopf ging.
Du wirst es nicht herausfinden, sagte sie sich, nicht bei diesem Mann, den du kaum kennst und dessen Miene nichts verrät.
Jenny konzentrierte sich wieder auf ihr Anliegen. „Nun?“
Um ihrer knappen Frage die Schärfe zu nehmen, lächelte sie, aber als Kamid sich ihr zuwandte, blieb sein Gesichtsausdruck düster.
„Wie können Sie hier sitzen, umgeben von all dieser Schönheit, und an Brunnen denken?“
„Sie wollten doch wissen, was im Lager gebraucht wird.“
„Der Brunnen ist kein Problem, wir werden einen bohren lassen.“ Eine lässige Handbewegung unterstrich seine Worte.
Misstrauisch sah sie ihn an. Was ging hier vor? Abgesehen davon, dass sie sich heftig zu diesem Mann hingezogen fühlte, und zwar auf eine Art, wie sie es nie wieder für möglich gehalten hätte?
„Und wenn Sie schon den wundervollen Abend mit praktischen Überlegungen verderben wollen, ich hatte mir überlegt, zwei Wohncontainer zu beschaffen. Die Ölgesellschaften benutzen sie, um ihre Arbeiter unterzubringen, wenn neue Bohrungen vorgenommen werden sollen. Diese Container werden von Lkws transportiert, und wir könnten bei einer Ölfirma anfragen, ob sie sie uns zur Verfügung stellen. Aus dem einen könnten wir ein kleines Krankenhaus machen.“
„Einfach so?“ Verblüfft sah sie ihn an. „ Aid for All hat buchstäblich darum betteln müssen, dass wir das Tuberkulose-Programm durchführen können, und Sie glauben tatsächlich, dass man uns beim Aufbau eines mobilen Krankenhauses unterstützen wird?“
„Der alte Herrscher ist tot“, sagte er nur. „Es wird jede Menge Veränderungen geben.“
„Schön. Freut mich, das zu hören, aber geht es auch schnell genug? Wir brauchen den Brunnen und die Klinik bald.“
„Ja.“ Für Jenny hörte es sich fast an wie ein Schwur.
Oder war das Mondlicht mit seinem silbrigen Schein daran schuld, dass sie sich Dinge einbildete, die gar nicht existierten? Was hatte es mit diesem faszinierenden Mann auf sich, der sie mit rauer Stimme in seinen Bann schlug und doch nicht merkte, wie seine Ankunft ihren Alltag verändert hatte?
Sie musste weg, weg von ihm, vom Mondlicht, von der Schönheit der nächtlichen Wüste, musste sich wieder fangen, wieder die vernünftige, praktische Jenny Stapleton werden …
„Ich sehe mal nach Akbar“, sagte sie rasch und stand auf. Ehe Kamid widersprechen konnte, eilte sie davon, duckte sich vor dem Zelteingang und schlüpfte hinein. Nach dem hellen Mondlicht erschien es ihr im Zelt dämmrig, obwohl es von zwei Gaslaternen erleuchtet wurde.
Jenny kniete sich neben Akbar und nickte Lia zu, die nicht von seiner Seite wich, ihm das Gesicht mit einem feuchten Tuch abwischte und dabei leise Gebete sprach oder ihm voller Liebe zärtliche Worte zuflüsterte.
Akbars Blutdruck war weiter gesunken, der Pulswert hingegen war gut. Die beiden Symptome ergaben keine klare Aussage, da bei innerer Blutung der Blutdruck sank, der Puls jedoch schneller wurde.
Würden sie operieren müssen?
Jenny fröstelte bei dem Gedanken daran. Ein Geräusch hinter ihr brachte sie dazu, sich umzudrehen. Kamid betrat das Zelt, und sie stand auf, froh darüber, ihre Besorgnis mit jemandem teilen zu können.
Doch Kamid gab ihr keine Gelegenheit dazu. „Wenn ich nicht hier wäre, was würden Sie tun?“, fragte er knapp. Sie
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