Das Herz des Drachen
also hatte er einige Freiwillige zur Marx Meadow eingeladen.
Die Marx Meadow lag in einer Ecke des Parks, in der viele Picknicktische standen – war also ideal für diesen Zweck. Straßenlaternen leuchteten in den Park hinein und versprachen zusammen mit der bevölkerten Straße relative Sicherheit, auch in der frühen Dunkelheit des Winters. Mya las die Rolle von Gina, der besten Freundin der Heldin. Das war genau die Rolle, die sie immer bekam. Sie fand einen Großteil des Dialogs ziemlich holprig. Der Autor machte sich eine Menge Notizen.
Als sie fertig waren, wollten die anderen noch etwas trinken gehen und luden sie zum Mitkommen ein. Aber Mya musste am nächsten Morgen früh zur Arbeit.
Außerdem mochte sie keinen Alkohol.
Also sagte sie gute Nacht und ging nach Norden. Weil alles gut beleuchtet war, nahm sie eine Abkürzung durch die Bäume zur Bushaltestelle an der nahe gelegenen Fulton Street.
Plötzlich versperrte ihr ein brennender Mann den Weg.
„Oh mein Gott!“, rief sie. „Nicht bewegen … warten Sie, nein! Sie müssen sich auf den Boden werfen und hin- und herrollen. Das wird es löschen. Hinwerfen und rollen!“ Sie griff nach ihrer Handtasche, zog das Handy hervor und begann 9-1-1 zu wählen.
Dann bemerkte sie, dass er nicht schrie.
Oder eigentlich gar nichts tat.
Er stand nur so da.
„Können Sie mich hören?“, fragte sie und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie blickte sich schnell um, aber es war niemand in der Nähe, der helfen konnte. Also richtete sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf den brennenden Mann.
Er blieb stumm. Dann bemerkte sie, dass nichts anderes in Brand geraten war, obwohl um sie herum überall Büsche und Bäume standen. Nicht einmal das Gras hatte Feuer gefangen.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, konnte aber kein Wort herausbringen. Währenddessen erhob der Mann die Arme und sie bemerkte ein riesiges, gebogenes Schwert.
Genau dann sprach der Mann endlich. Seine Stimme hörte sich an, als käme sie durch ein wirklich lausiges Soundsystem – irgendwie düster und knisternd. Aber was die gutturalen Laute auch bedeuteten, sie waren weder Englisch, Chinesisch noch Deutsch. Für Mya klang es wie Japanisch und sie glaubte, das Wort ‚Drache‘ verstanden zu haben.
Doragon Kokoro. Das hatte er gesagt.
Aber irgendwie, obwohl sie die Worte nicht verstand, wusste Mya, was sie bedeuteten.
Mit einer schnellen Bewegung thronte er plötzlich fast über ihr.
Sie rannte los.
Sie lief in keine besondere Richtung, sie fing einfach an zu rennen. Zwei Jahre kellnern hatte ihr starke Beine eingebracht, also konnte sie sich schnell durch die Bäume bewegen.
Aber egal wohin sie lief und wie schnell sie auch rannte, Doragon Kokoro hielt mit ihr Schritt. Die Flammen um ihn herum brannten lichterloh und er hielt sein Schwert erhoben, als wollte er sie zerteilen.
Sie wusste nicht mehr, wo sie war. Die Tatsache, dass der Park menschenleer war, verstärkte ihre Panik nur. Obwohl es ein kühler Dezemberabend war, hätten wenigstens ein paar Menschen hier sein müssen. Selbst als sie merkte, dass sie gerade über den Kennedy Square lief, war dort niemand.
Sie versuchte, um Hilfe zu rufen, aber es kam nur ein raues Krächzen heraus und ließ sie nach Luft schnappen. Starke Beine waren das eine, aber sie war seit Jahren nicht mehr laufen gewesen. Ihre Lungen begannen zu brennen und ein stechender Schmerz schoss durch ihre Waden.
Sie rannte trotzdem weiter und hoffte, dass sie ihren Angreifer abschütteln konnte.
Wo sind nur alle?
Mehr taumelnd als rennend kam sie am Ufer des Lloyd Lake an und musste anhalten. Als sie sich umdrehte, wusste sie, was sie erwartete.
Dort stand der brennende Mann mit erhobenem Schwert. Die Flammen brachen sich im dunklen Wasser des Sees.
Endlich fand sie ihre Stimme wieder, aber statt eines Schreis kam nur ein Wimmern heraus.
„Oh Gott, bitte nicht. Ich will nicht sterben. Bitte bringen Sie mich nicht um, bitte. Ich will nicht sterben!“
Ihre Stimme wurde lauter, Doragon Kokoro zögerte und Mya verstummte. Sie hoffte, dass sie ihn vielleicht umgestimmt hatte. Für einen Moment glaubte sie, Traurigkeit in seinen brennenden Augen zu erkennen.
„Ich will nicht sterben“, wiederholte sie.
„Das wollte ich auch nicht“, antwortete er und ließ das Schwert nach unten sausen.
Dieses Mal war es anders.
Jetzt konnte Nakadai mit den Lebenden kommunizieren. Seine Taten wurden immer noch von anderen kontrolliert, aber er
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