Das Herz des Eisplaneten
tadelte sie ob ihrer Gier: Alles, dessen sie tatsächlich bedurfte, würde ihr schon zuteil werden.
Blinzelnd öffnete Yana die Augen, denn der Gedanke war ihr fremd: Er war ihrem Geist eingepflanzt worden. Sie blinzelte erneut.
Der Nebel hatte sich aufgelöst. Ebenso die Menschen, die sie in die Höhle begleitet hatten. Clodagh war fort, Bunny und Diego, Sinead und Aisling! Doch bevor sie in Panik geraten konnte, verspürte sie einen Druck an ihrer rechten Schulter.
»Ich bin hier«, sagte Sean mit einem wogenden Lachen in der leisen Stimme. Als sie den Kopf zur Seite wandte, trafen seine Silberaugen die ihren, und er nickte. Mit einem ganz und gar weltlichen Seufzen sank sie zusammen, von keinem Zauber mehr gestützt. Sie empfand einen Stich des Bedauerns darüber, daß die Verbindung geendet hatte.
»Wie lang?« fragte sie Sean und wies mit einer Geste um sich.
»Wie lang hat es sich angefühlt?« lautete seine Erwiderung.
»Wie ein tiefer Atemzug.«
Er nickte erneut, seine Augen waren leicht geschlossen, doch das Lächeln war erfüllt von Zufriedenheit. Dann hob er ihre Hand, musterte sie eindringlich, drehte sie mit der Fläche nach oben und küßte sie. Sie konnte das Erschauern nicht beherrschen, das sie durchfuhr. Er legte ihre Hand gegen seine Wange und schaute ihr in die Augen.
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»Es war wohl doch länger als ein Atemzug, nicht wahr?« fragte sie.
Er nickte, und aus seiner Behutsamkeit schloß sie, daß sehr viel mehr Zeit vergangen war, als einzugestehen er für ratsam hielt, bevor er ihre Reaktion darauf richtig abschätzen konnte.
Vorsichtig ging sie ihre Erinnerung an die Erfahrung und ihre Reaktion darauf durch, bis sie zu der einzig logischen Schlußfolgerung gelangte, die doch jeder Logik Hohn sprach, und fragte: »Das war nicht nur poetisch gemeint, als ihr sagtet, daß Petaybee lebendig ist, nicht wahr? Das ist es tatsächlich, nicht? Und es… es hypnotisiert einen oder läßt einen in eine Trance fallen. Wie Diego?«
Sean nickte wieder. »Die meiste Zeit ist es so, wie es für dich und Diego gewesen ist, aber für jemanden, der zu starrsinnig ist, um diese Möglichkeiten zu akzeptieren, kann es extrem traumatisch werden –
es kann zum Schock führen, zum Wahnsinn, sogar zum Tod. Und nicht nur bei Außenweltlern. Vielleicht ist dir einmal der junge Terce aufgefallen, der zweite Schnokelfahrer?«
Yana nickte. Seit ihrer Ankunft hatte sie Terce nicht mehr häufig gesehen, aber sie erinnerte sich daran, wie Bunny sagte daß der Junge nicht besonders klug sei.
»Er hat auf diese Erfahrung nicht allzu gut reagiert. Die meisten Kinder nehmen sie mühelos an, aber Terce… Vielleicht war sein Geist zu genial strukturiert, jedenfalls hat ihm davor gegraut, und er hat es auch nie wieder versucht. Manchmal lungert er am Rande eines Latchkay herum, ohne daran teilzunehmen. Und doch war daran nichts Böses – nur ein… Mangel an Kommunikation.« Sean zuckte mit den Schultern. »Hinter diesem Planeten steckt mehr, als man mit bloßen Instrumenten feststellen kann, Yana. Heute nacht hast du einen wesentlichen Aspekt davon erfahren.«
»Ein Übergangsritus?« Sie wollte skeptisch oder abfällig klingen.
Sie begann zu flüstern. »Habe ich bestanden?«
Sean lachte mit einer solchen aufrichtigen Heiterkeit, daß sie selbst grinsen mußte. Dann zog er sie an sich und wiegte sie vor und zurück.
»Was glaubst du denn?« fragte er neckend.
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»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich bin nicht ein religiöser Typ…«
»Religion hat nichts damit zu tun, Yana. Das war kein Gottesdienst.
Der Planet lebt. Da ist es nur höflich, wenn man auch mit ihm kommuniziert. Es geht um eine… Beziehung«, fügte er durchaus glücklich, ja unbeschwert hinzu. Sie begriff, daß er erleichterter war, als er sich selbst eingestehen mochte, nämlich darüber, daß sie ihre…
Einführung ohne Schwierigkeiten überstanden hatte. Er setzte seine ziemlich flapsige Erklärung fort, während er die Arme um sie schlang.
»Die Firma möchte uns glauben machen, daß alles auf diesem Planeten von ihr stammt, doch das stimmt nicht. Dieser Planet besitzt einen eigenen Geist und hat auch eigene Ressourcen entwickelt. Wenn man hier lebt, erfahren die meisten von uns das und nehmen diese Geschenke an, diesen Schutz, und im Gegenzug entbieten wir ihm Kameradschaft und… ich weiß nicht, eine Ausdrucksmöglichkeit, vielleicht.«
»Aber warum? Warum akzeptiert er euch nicht nur, sondern gibt euch auch noch
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