Das Herz des Highlanders: Roman (German Edition)
hatte.
Grace saß neben dem Krankenhausbett, ihre Augen waren geschwollen von ungeweinten Tränen, und das Herz brach ihr, wenn sie zusah, wie Mary zu sprechen versuchte. Das leise Piepsen und Summen war verschwunden, die zahlreichen medizinischen Geräte, die ihren Verfall überwacht hatten, waren vor einer Stunde fortgeräumt worden. Eine bedeutungsschwere Stille hatte sich stattdessen über den Raum gelegt. Grace saß in schmerzlichem Schweigen da und dachte nur daran, wie sehr sie wollte, dass ihre Schwester weiterlebte.
Der Anruf, durch den Grace von dem Autounfall erfuhr, hatte sie gestern Mittag erreicht. Bis sie beim Krankenhaus angekommen war, war Marys Kind schon geboren worden, seiner Mutter durch einen Notkaiserschnitt entrissen. Und gegen sechs Uhr früh hatten ihr die Ärzte schließlich mitgeteilt, dass ihre Schwester im Sterben lag.
Mary, die drei Jahre Jüngere, war stets die praktischere der beiden Schwestern gewesen, die lebensnähere. Sie war auch die tonangebende der beiden Mädchen gewesen. Als sie das fünfte Lebensjahr erreicht hatte, regierte Mary schon den Haushalt der Sutters, indem sie ihren Willen sowohl bei den
Eltern, bei den älteren Halbbrüdern, soweit sie noch zu Hause lebten, und bei Grace durchsetzte. Und als die Eltern vor neun Jahren bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen waren, war es die achtzehnjährige Mary gewesen, die die Tragödie managte. Ihre sechs Halbbrüder waren aus allen vier Ecken der Welt nach Hause gekommen, nur um zu erfahren, dass es ihre einzige Aufgabe sein würde, ihrem Vater und der Stiefmutter die letzte Ehre zu erweisen.
Nach der wunderschönen, doch schmerzlichen Zeremonie waren die sechs Brüder zu ihren Familien und Berufen zurückgekehrt, Grace war wieder nach Boston gefahren, um ihren Doktor in mathematischer Physik abzuschließen, und Mary war in Pine Creek in Maine geblieben und hatte das Heim der Sutter-Familie zu dem ihren gemacht.
Deswegen war Grace auch so überrascht gewesen, als Mary vor vier Monaten plötzlich bei ihr in Norfolk in Virginia vor der Tür gestanden hatte. Nur etwas ungemein Bedeutendes konnte ihre Schwester dazu bewegen, die Wälder zu verlassen, die sie so liebte. Aber Mary hatte nur die Jacke auszuziehen brauchen, da verstand Grace, was der Grund war.
Ihre Schwester war schwanger. Ihr Bäuchlein hatte sich grade erst sichtbar zu wölben begonnen, als Mary bei ihr ankam, und Grace hatte begriffen, dass Mary über ihre Lage ratlos war.
Während der vergangenen vier Monate hatten sie mehrmals darüber hitzig diskutiert. Aber Mary, die nun mal eine sture Frau war, hatte sich geweigert, den Hintergrund ihres Problems mit Grace zu besprechen. Sie war gekommen, um sich zu sammeln, nachzudenken, Mut zu fassen und zu entscheiden, was sie tun sollte. Ja, sie liebte den Vater des Babys mehr als alles im Leben. Aber nein, sie war nicht sicher, ob sie ihn heiraten konnte.
War er mit jemand anderem verheiratet?, hatte Grace wissen wollen.
Nein.
Dann lebte er womöglich in der Stadt, und sie würde umziehen müssen.
Nein.
War er ein Strafgefangener?
Natürlich nicht.
Was auch immer Grace versuchte, sie konnte ihre Schwester nicht dazu bewegen, ihr zu sagen, warum sie nicht nach Hause gehen und heiraten konnte – vorzugsweise noch vor der Geburt des Babys.
Mary wollte ihr nicht einmal den Namen des Mannes sagen. Sie erzählte insgesamt keine weiteren Einzelheiten, nur dass er Schotte und erst vor einem Jahr nach Pine Creek gezogen war. Sie waren sich bei einem Nachbarschaftsessen begegnet und hatten sich während der folgenden drei Monate heftig ineinander verliebt. Schon beim ersten Mal, als sie miteinander schliefen, war sie schwanger geworden.
Es folgten vier Monate des Glücks und erst dann war Marys Welt plötzlich aus den Fugen geraten. In den stillen Abendstunden eines Spaziergangs hatte ihr der Schotte eines Tages eine fantastische Geschichte (so Marys Worte) erzählt, und dann hatte er sie gebeten, seine Frau zu werden.
Zwei Tage später hatte Mary bei Grace in Virginia vor der Tür gestanden. Und während der ganzen letzten vier Monate hatte Grace Mary bekniet, ihr doch zu verraten, was der Schotte erzählt hatte, aber ihre Schwester hatte eisern geschwiegen. Bis sie dann gestern, aus heiterem Himmel und nur mit dem Versprechen, alles später zu erklären, verkündet hatte, sie werde nach Pine Creek zurückkehren. Doch es war keine Stunde vergangen, da kam der Anruf. Mary hatte noch nicht einmal die Stadt
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