Das Herz des Jägers
geschehen?«
»Und wie lautet die Antwort?«
»Das ist seine Achillesferse. Sehen Sie, seine Loyalität war immer allumfassend. Erst zum Freiheitskampf, zum ANC. |272| Als alles vorüber war und er auf dem trockenen saß, suchte er sich jemanden, der mit seinen Fähigkeiten etwas anfangen konnte. Er diente Orlando mit absoluter Treue, doch dann passierte etwas, tief in ihm drin. Ich weiß nicht, was es war – ich habe meine Vermutungen, aber ich bin nicht sicher. Wir waren im Krankenhaus, er und ich, zusammengeschlagen und angeschossen, und eines Tages, kurz vor sechs, kam er an mein Bett und sagte, er habe genug von Gewalt und Kampf. Ich wollte mit ihm plaudern, ich wollte ihn herausfordern, ihn ein wenig ärgern, aber er meinte es ernst. Ich konnte sehen, daß es ihm etwas bedeutete.«
»Und das ist seine Achillesferse?«
Van Heerden beugte sich vor. »Er glaubt, daß er sich verändern kann. Er glaubt, er habe sich verändert.«
Sie hörte die Worte, sie registrierte ihre Bedeutung, zugleich war sie sich auch dessen bewußt, was zwischen den Zeilen gesagt wurde, und in diesem Augenblick verstand sie die Anziehung, die unsichtbare Bindung: Er war wie sie, irgend etwas in ihm fehlte, etwas stimmte nicht, er fühlte sich in dieser Welt nicht ganz zu Hause, genau wie sie; es war, als gehörten sie nicht hierher.
Dann ging die Tür auf, und der kahlköpfige Mann trat heraus, er blinzelte im hellen Tageslicht der Straße. Thobelas Finger streichelte den Abzug, und die lange schwarze Waffe zuckte in seinen Händen und hüstelte in sein Ohr, und einen Herzschlag später spritzte Blut ein grelles Muster auf das Holz. In den siebenundvierzig Sekunden, die es dauerte, die Waffe zu zerlegen und in die Tasche zu stecken, wurde ihm klar, daß er so keinen Krieg führen konnte. Es lag keine Ehre darin.
Der Gegner mußte ihn sehen. Der Gegner mußte die Möglichkeit haben, sich zu wehren.
Miriam Nzululwazi wußte, daß es nur einen Ausweg gab. Sie mußte klettern, sie mußte über die Brüstung steigen und |273| sich von der untersten Strebe hängen lassen, und dann mußte sie den einen Meter auf den nächsten Absatz herunterspringen, und das mußte sie wiederholen, bis sie dort ankam, wo die Treppe wieder begann und im Zickzack zum Boden führte.
Sie stemmte sich über das Geländer. Sie schaute nicht herab, sie schwang einfach ein Bein herüber, dann den Rest ihres Körpers, sieben Stockwerke über der schmutzigen Gasse.
»Ma, du bist überhaupt nicht mehr zu Hause«, sagte Lien draußen am Wagen.
»Das stimmt, mein Kind, aber nicht, weil ich bei der Arbeit sein will. Du weißt, daß ich manchmal Überstunden machen muß.«
»Ist es wegen des Motorrad-Mannes, Mama?« fragte Lizette.
»Du schaust zu viel Fernsehen.«
»Aber ist es seinetwegen, Mama?«
Sie ließ den Wagen an und sagte sanft: »Ihr wißt, daß ich nicht darüber reden darf.«
»Die Leute sagen, er ist ein Held, Mama.«
»Suthu sagt, ihr wollt nicht ins Bett gehen. Ihr müßt auf sie hören. Verstanden?«
»Wann sehen wir dich wieder, Ma?«
»Morgen, das verspreche ich.« Janina Mentz legte den Rückwärtsgang ein und ließ die Kupplung kommen. »Schlaft gut.«
»Ist er, Mama? Ist er ein Held?« Aber sie fuhr los, sie hatte es eilig, sie antwortete nicht.
Quinn und Radebe rannten, der schwarze Mann voran, die Treppe hoch, ihre Schritte laut in den stillen Fluren. Wie konnte das sein, wie hatte die Frau entkommen können? Sie konnte es nicht gewesen sein. Sie rannten an der Tür zum Verhörzimmer vorbei, er sah, daß sie geschlossen war, was |274| ihn beruhigte. Sie mußte dort drin sein, aber zuvor hatte der Notausgang Priorität. Radebe stieß ihn auf. Zuerst sah er nichts, und die Erleichterung überkam ihn. Quinns Atem in seinem Nacken, sie traten beide hinaus auf die kleine stählerne Plattform.
»Gott sei Dank«, hörte er Quinn hinter sich sagen.
»Solange er es glaubt«, sagte Zatopek van Heerden, »sollten die Dinge nicht außer Kontrolle geraten. Sie haben sogar eine Chance, ihn zu überreden, umzukehren. Wenn sie ihn korrekt ansprechen.«
»Sie klingen skeptisch«, sagte Allison.
»Haben Sie schon einmal von der Chaostheorie gehört?«
Allison schüttelte den Kopf. Der Mond stand im Osten, sein helles rundes Licht schien auf sie herunter. Sie sah, wie er die Hand vom Tisch hob, einen Augenblick hing sie in der Luft, sie glaubte beinahe, er würde sie berühren, und sie wollte es, aber seine Hand blieb dort,
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