Das Herz des Jägers
»Nein, ich …«, aber er gab ihr keine Zeit.
»Sie haben sich im Kopf das Bild eines Fußsoldaten des Freiheitskampfes zurechtgelegt, eines relativ einfachen Mannes, vielleicht eines Rebellen, der da und dort Widerstand leistete, aber nicht mehr als das. Nur ein normaler Soldat.«
»Nein, ich habe ihn nicht als normal …«
»Ich kenne nicht die ganze Geschichte. Die Russen haben ihn entdeckt. Ein Schießwettbewerb in Kasachstan, eine Basis irgendwo in den Bergen, wo die ANC-Männer ausgebildet wurden. Wahrscheinlich hat er die Kommunisten schlecht dastehen lassen, und sie erkannten sein Potential. Er wurde zwei Jahre in Ostdeutschland ausgebildet, an einer speziellen Spionageschule.«
»Wie viele Leute hat er …«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Zehn, fünfzehn …«
»Mein Gott.« Sie atmete aus. »Ich darf auch das nicht schreiben?«
»Nein, Allison Healy, auch das dürfen Sie nicht schreiben.«
Er hatte die Linse schnell mit dem weichen Stoff abgewischt und dann wieder vor die Augen genommen. Nicht zu nah, genau die richtige Entfernung, er überprüfte noch einmal die |270| Einstellungen und wartete wieder darauf, daß die Tür sich erneut öffnete. Schweiß lief ihm über die Stirn – er mußte sich ein Schweißband besorgen, sonst brannte es in seinen Augen. Die Tür war aus dunklem Holz, sie war wieder geschlossen, seine Handflächen waren naß, die Temperatur im Inneren seiner warmen Kleidung nahm stetig zu. Er wurde sich seiner Ablehnung dessen, was er tat, bewußt. So führte man keinen Krieg, es war nicht die Art seines Volkes.
An der Tür befand sich ein Querbalken, weiße Buchstaben auf grünem Grund sagten
PUSH/DRUK
. Es klickte, als das Schloß sich öffnete, die Tür quietschte und knirschte, die lange ungenutzten Angeln protestierten, und dann sah Miriam, daß sie draußen war. Sie sah die Nacht, sie hörte die Geräusche der Stadt, und sie trat vor und schloß die Tür hinter sich. Sie schaute nach unten, weit unter sich gab es eine Gasse, aber direkt vor ihr befand sich ein Metallgeländer, und dann waren da die rostigen Wunden einer abgesägten Metalltreppe. Ihr wurde klar, daß sie in einer Sackgasse steckte. Die Tür war hinter ihr zugefallen, und auf der Außenseite gab es keinen Griff.
Ein Lämpchen blinkte auf der Anzeige. Der Wachmann griff zum Hörer und informierte die Einsatzzentrale.
Quinn meldete sich.
»Notausgang im siebten Stock. Der Alarm wurde ausgelöst«, sagte der Wärter.
Quinn hob die Stimme. »Wer ist im siebten Stock? Der Notausgang wurde geöffnet.«
Sechs Meter neben ihm lauschte Vincent Radebe dem Knistern der Rooivalk-Funkverbindungen über tausend Kilometer nördlich, und er hörte nur halb, was Quinn gesagt hatte, aber die Nackenhaare stellten sich ihm auf.
»Was?« fragte er.
»Jemand hat den Notausgang im siebten geöffnet.« Quinn und Radebe schauten einander an, sie begriffen es genau |271| gleichzeitig, und Radebe hatte das Gefühl, als verknotete eine eisige Hand seine Innereien.
»Sie sind Journalistin. Sie sollten wissen, daß die Vorstellungen von Gut und Böse relativ sind«, sagte Zatopek van Heerden. Er war aufgestanden und an den Rand der Veranda getreten, er schaute hinaus in den Nachthimmel. »Nein, nicht relativ. Unpassend. Unzureichend. Sie wollen sich entscheiden. Sie wollen für oder gegen ihn sein. Ihrer Meinung nach muß eine der beteiligten Parteien im Recht sein, jemand muß für das Gute kämpfen.«
»Sie klingen wie Orlando Arendse«, sagte sie.
»Orlando ist nicht dumm.«
»Aber er hat so viele Menschen ermordet.«
»Sie sollten sich einmal selbst zuhören. Ermordet! Thobela hat niemanden ermordet. Er hat einen Krieg geführt. Und ich weiß nicht, wie viele Feinde von seiner Hand starben, aber es müssen viele gewesen sein. Er hat es nie gesagt, aber ich habe ihn in Aktion gesehen, und seine Fähigkeiten waren beeindruckend.«
»Und dann wurde er Reinigungskraft in einem Motorrad-Laden?«
Van Heerden setzte sich wieder in Bewegung, diesmal kam er zu ihr, und auf Allison wirkte das zugleich erregend und bedrohlich. Er ging dicht an ihr vorbei, setzte sich auf einen weißen Plastiktisch. Sie konnte ihn riechen, sie war ganz sicher, daß sie ihn riechen konnte.
»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie zum Kern der Sache kommen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die Frage, die Sie und die Geheimdienstleute sich stellen müssen, ist: Warum hat Thobela Orlando verlassen? Was hat sich verändert? Was ist
Weitere Kostenlose Bücher