Das Herz des Jägers
beendete den Anruf.
Die Kinder, der Job. Der ewige Druck. Alle wollten etwas von ihr. So war es immer. Solange sie sich zurückerinnern konnte. Forderungen. Ihr Vater und ihre Mutter. Ihr Mann. Und dann, als alleinerziehende Mutter, noch mehr Druck, noch mehr Leute, und alle sagten: »Gib mir mehr, mehr, mehr!« Es gab Augenblicke, in denen sie aufstehen und schreien wollte: »Fickt euch alle ins Knie!« Sie wollte ihre Taschen packen und verschwinden, denn was sollte das alles? Es wurde nicht besser, alle wollten bloß immer mehr. Ihre Eltern und ihr Ex-Mann, der Direktor und ihre Kollegen. Sie forderten, sie nahmen, und sie mußte immer nur geben, die Gefühle wallten in ihr auf, Wut und Selbstmitleid, und sie suchte nach Ruhe dort, wo sie sie stets fand, an jenem geheimen Ort, ihr Versteck, wo sie ganz allein war.
Er sah den Hubschrauber als schwarzen Schattenriß vor dem Mond, nur einen Augenblick lang, es war reiner Zufall und so schnell vorbei, daß er glaubte, es sich eingebildet zu haben. Dann tasteten seine Finger fieberhaft nach dem Schalter für den Scheinwerfer, sie fanden ihn, er schaltete das Licht aus.
Thobela hielt mitten auf dem Feldweg und schaltete den Motor aus, er kämpfte mit der Helmschnalle, zog zuerst die Handschuhe aus, dann nahm er den Helm ab. Er lauschte.
Nichts.
Sie hatten Suchscheinwerfer an diesen Dingern. Vielleicht sogar eine Form von Nachtsichtgerät. Sie würden den Straßen folgen.
Er hörte irgendwo tief vor sich ein düsteres Rumpeln. Sie hatten ihn entdeckt. Er kam sich nackt und verwundbar vor, er mußte ein Versteck finden. Er fragte sich, was passiert war. Wieso suchten sie hier nach ihm? Der Tankwart? Der Verkehrspolizist? Etwas anderes?
Wo versteckt man sich mitten in der Nacht vor einem Hubschrauber? In den Weiten des Free State?
|278| Er suchte im Dunkeln nach den Lichtern eines Farmhauses, er hoffte auf Scheunen und Nebengebäude, aber da war nichts. Sorge überkam ihn – hier konnte er nicht bleiben. Er mußte etwas unternehmen, und dann dachte er an den Fluß und die Brücke, den großen Modder River, der mußte irgendwo vor ihm liegen, die Brücke ebenfalls.
Unter der Brücke konnte er Zuflucht suchen, sich verstecken.
Er mußte dorthin gelangen, bevor sie es taten.
Quinn und Radebe warteten am Fahrstuhl auf sie, und Quinn sagte: »Können wir in Ihr Büro gehen, Ma’am?«
Janina Mentz wußte, daß es einen Zwischenfall gegeben hatte, denn sie waren ernst, vor allem Radebe – er sah verzweifelt aus. Sie ging voran, öffnete die Bürotür, trat ein und wartete, um die Tür hinter den beiden zu schließen.
Sie blieben stehen und begannen beide gleichzeitig zu sprechen, hielten inne, sahen einander an. Radebe hob die Hand. »Es ist meine Schuld«, sagte er zu Quinn, und dann schaute er mühsam Janina an, seine Stimme war monoton, sein Blick tot, als befände sich niemand mehr in seinem Inneren. »Ma’am, durch meine Nachlässigkeit entkam Miriam Nzululwazi aus dem Verhörzimmer.«
Ihr wurde kalt.
»Sie hat die außen gelegene Feuertreppe erreicht und versucht herunterzuklettern. Sie ist gestürzt. Sechs Stockwerke. Es ist meine Schuld, ich übernehme die volle Verantwortung.«
Janina holte Luft, um Fragen zu stellen, aber Radebe war noch nicht fertig. »Ich kündige hiermit. Ich werde dieser Abteilung nicht mehr weiter schaden.« Mit diesen Worten verließ ihn auch das letzte bißchen Würde.
Schließlich sagte Janina: »Sie ist tot.«
Quinn nickte. »Wir haben sie in das Verhörzimmer hochgetragen.«
»Wie ist sie herausgelangt?«
|279| Radebe starrte auf den Teppich, er schien nichts mehr zu sehen. Quinn sagte: »Vincent glaubt, er habe die Tür nicht hinter sich abgeschlossen.«
Die Wut kochte in ihr hoch und ein Verdacht. »Das glauben Sie? Sie
glauben
, Sie haben es nicht getan?«
Er reagierte nicht, was sie noch wütender machte. Sie wollte ihn anbrüllen, ihn bestrafen, es war viel zu einfach, leblos dazustehen und zu sagen, er glaubte eben, er hätte die Tür nicht abgeschlossen –
sie
mußte die Konsequenzen tragen. Sie würgte eine Flut bitterer Worte herunter.
»Sie können gehen, Vincent. Ich akzeptiere Ihre Kündigung.«
Er wandte sich langsam um, aber sie war noch nicht fertig. »Es wird eine Untersuchung durchgeführt werden. Ein Disziplinarverfahren.«
Er nickte.
»Sorgen Sie dafür, daß wir wissen, wo Sie zu finden sind.«
Er schaute zurück zu ihr, und sie sah, daß ihm nichts mehr blieb, er war am
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