Das Herz des Jägers
Volk zugehörig. Er hatte in jenen Wochen an seinen Vater gedacht, er hatte mit der Idee gespielt, den Zug zu nehmen und seine Eltern zu besuchen, plötzlich in der Tür zu stehen und zu sagen: »Hier bin ich, und das ist mir widerfahren«, aber es gab zuviel Ballast, die Kluft war zu groß, und an den Abenden kehrte er zurück in sein Zimmer und wartete auf den Anruf, |335| der nie kam. Weggeworfen, so hatte er sich gefühlt, und langsam wandelte sich dieses Gefühl in das, verraten worden zu sein. Sie hatten ihn zu dem gemacht, was er war, und jetzt wollten sie davon nichts mehr wissen. Schließlich ging er nach Kapstadt, damit er wieder die Sprache seiner Vorfahren hören konnte, bis er sich entschied, seine Dienste jemandem anzubieten, der sie zu schätzen wußte, der ihn einbinden würde, der ihn dazugehören ließ.
Es hatte nicht so funktioniert, wie er es sich gedacht hatte. Er hatte ein gutes Leben in der Vorstadt gehabt, aber er blieb ein Außenseiter, er war immer noch allein, allein mitten unter all den anderen.
Aber nicht so einsam wie jetzt. Das Fieber ließ ihn frösteln, er träumte merkwürdige Träume, ein Gespräch mit seinem Vater, das nie endete, Erklärungen, Rechtfertigungen, endlos, die Worte quollen aus ihm heraus, und sein Vater zog sich zurück, er schüttelte den Kopf und betete. Dann zwang Thobela sich, aufzuwachen, er schwitzte, der Schmerz an seiner Hüfte war ein dumpfes Pochen, und er stand auf und trank aus dem Hahn im Badezimmer kaltes, süßes Wasser.
Irgendwann, kurz vor Beginn der Dämmerung, erwachte Allison Healy für einen Augenblick, nur lange genug, um einen Gedanken zu denken: Die Entscheidung, die Informationen für sich zu behalten, die er ihr gegeben hatte, war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen.
Hatte sie es gewußt, in jenem Augenblick, als sie die Entscheidung treffen mußte? Hatte sie es trotz all ihrer Ängste und Unsicherheiten gewußt?
Nun war es gleichgültig. Sie rollte sich zu ihm hinüber, sie preßte ihren Körper gegen seinen Rücken und seinen Schenkel, und sie seufzte freudig, bevor sie wieder in tiefen Schlaf sank.
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Als Lien und Lizette neben ihr in das Doppelbett krochen, wachte Janina Mentz auf und rieb sich die Augen.
»Wie spät ist es?« fragte sie.
Lien sagte: »Es ist früh, Ma, schlaf doch noch ein bißchen.«
Sie schaute auf den Radiowecker. »Es ist halb sieben.«
»Sehr früh«, sagte Lizette.
»Zeit, aufzustehen«, sagte sie ohne Begeisterung. Sie hätte nur zu gern noch ein oder zwei Stunden mehr geschlafen.
»Wir gehen heute nicht zur Schule«, sagte ihre Jüngste. »Ach wirklich?«
»Es ist der landesweite Mutter-muß-unbedingt-zu-Hause-bleiben-Tag.«
»Ha!«
»Wer nicht gehorcht, wird mit fünfhundert Rand für neue Klamotten jeder Tochter bestraft.«
»So weit kommt es noch.«
»Es stimmt. Landesweiter Mutter-muß…«
»Schalt den Fernseher ein.«
»So früh am morgen Fernsehen zu schauen schadet einem mittelalten Gehirn. Das weißt du doch, Ma.«
»Mittelaltes Gehirn, von wegen. Ich will Nachrichten sehen.«
»Ma, hör doch wenigstens mal auf zu arbeiten, bis wir zur Schule gehen.«
»Es ist keine Arbeit, es ist ein gesundes Interesse an meiner Umgebung und meiner Welt. Der Versuch, meinen geliebten Töchtern zu zeigen, daß es im Leben mehr gibt als Britney Spears und geifernde Jungen.«
»Was denn?« fragte Lien.
»Ja, sag mal auch nur eine Sache«, sagte Lizette.
»Schalt den Fernseher ein.«
»Okay.«
|337| »Mittelaltes Gehirn – das ist ja ganz neu.«
»Menschen sollten kein Problem mit ihrem Alter haben.«
»Ich hoffe nur, daß sich solche Weisheiten auch in euren Zeugnissen widerspiegeln.«
»Da haben wir es wieder – die letzte Zuflucht des mittelalten Gehirns: das Zeugnis.«
Lien drückte einen Knopf an dem kleinen Farbfernseher. Langsam erschien eine Sportsendung auf dem Schirm.
»Das mittelalte Gehirn wüßte gern, wer in meinem Zimmer Fernsehen geschaut hat.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Lien war damit beschäftigt, mit geifernden Jungs im Wohnzimmer rumzusitzen.«
»Schalt auf TV2 und rede keinen Blödsinn.«
»Gibt es keinen Dokumentarfilm …«
»Pst …«
… weitere Informationen über den südafrikanischen Waffenskandal. Die Zeitung zitiert einen Insider, der behauptet, bei den Daten, die Mpayipheli bei sich trage, handele es sich um die Schweizer Nummernkonten der Regierungsmitglieder, die in den Waffenhandel involviert sind, sowie die Summen, die als
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