Das Herz des Jägers
mußte zweimal gehen, um alle Teile der R 4 nach vorne zu tragen, ohne daß jeder sofort sah, daß er ein Gewehr herumschleppte.
Jede Menge Leute und Autos waren zwischen der Grenze einen Kilometer nördlich und der Stadt Kasane hinter ihm unterwegs. Er setzte das Gewehr zusammen und hielt es unterhalb des Lenkrades, so daß Passanten es nicht bemerkten.
Damit konnte er diesen Scheißkerl stoppen. Denn er mußte hier entlangkommen, er mußte über diese Brücke, selbst wenn er die Grenzstation selbst umfuhr.
Und wenn er ihn erst mal angehalten hatte …
|343| 39
Er kämpfte mit sich, als er vor dem Hotel stand, gestiefelt und gespornt, bereit zur Abfahrt. Der Drang, sich umzudrehen und zurückzufahren, war entsetzlich groß. Wenn sie Miriam und Pakamile etwas angetan hatten …
Sie waren verschwunden
. Er versuchte sich einzureden, daß Miriam vielleicht mit ihrem Kind zusammen untergetaucht war, denn wenn die Medien Wind von ihnen bekommen hatten, würde dauernd jemand anrufen oder vorbeikommen – und er kannte sie, er wußte, wie sie reagieren würde. Er hatte aus seinem Hotelzimmer bei ihr zu Hause angerufen, doch es klingelte nur ergebnislos. Schließlich gab er auf und dachte verzweifelt darüber nach, wen er anrufen konnte. Wer wußte um acht Uhr morgens Bescheid? Van Heerden – ihm fiel die Nummer nicht ein, er mußte die Auslandsauskunft anrufen, er mußte den Namen buchstabieren und ewig warten.
Als die Nummer angesagt wurde, kritzelte er sie eilig auf einen Bogen Briefpapier des Hotels. Er rief an, aber Van Heerden war nicht zu Hause. Wütend knallte er den Hörer auf, packte seine Sachen, bezahlte das Zimmer, ging hinaus und stand neben dem Motorrad. Die verschiedenen Wünsche kämpften in ihm miteinander. Er war kurz davor, umzukehren, Lobatse, Mafikeng, Kimberley, Kapstadt. Nein, vielleicht war Miriam wirklich nur untergetaucht, er würde zwei Tage brauchen, bis er da war, besser erst eine Sache zu Ende bringen, aber was war, wenn …
Schließlich fuhr er los, und nun befand er sich auf der Straße nach Francistown. Die Sorge war sein Mitreisender geworden – und auch jene Wahrheit, die er mit Hilfe des afrikanischen Liedes unter der Brücke am Modder River erkannt hatte.
»Ich möchte den Jungen zu Ihnen bringen«, sagte Vincent Radebe am Telefon zu ihr.
»Wo ist er?«
|344| »Er wartet im Wagen.«
»Warum zu mir?«
»Ich habe Ihre Geschichte in der Zeitung gelesen.«
»Aber warum wollen Sie ihn zu mir bringen?«
»Weil er bei mir nicht sicher ist. Man wird mich finden.«
»Wer?«
»Ich habe sowieso schon genug Probleme. Ich kann Ihnen das nicht sagen.«
»Wissen Sie, wo seine Mutter ist?«
»Ja.«
»Wo?«
Er antwortete so leise, daß sie ihn nicht verstehen konnte. »Was haben Sie gesagt?«
»Seine Mutter ist tot.«
»O Gott.«
»Ich habe es ihm noch nicht gesagt. Ich kann nicht.«
»Oh, mein Gott.«
»Er hat keine Familie. Ich hätte ihn zu seiner Familie gebracht, aber er sagt, er hat niemanden. Und bei mir ist er nicht sicher, ich weiß, daß man mich finden wird. Bitte, helfen Sie mir.«
Nein, wollte sie sagen, nein, das kann ich nicht tun, was sollte sie machen, wie sollte sie das hinbekommen?
»Bitte, Miss Healy.«
Sag einfach nein!
»Die Zeitung«, sagte sie. »Bitte bringen Sie ihn in die Redaktion, ich werde mich dort mit Ihnen treffen.«
Alle Direktoren waren da – NIA, Secret Service, Presidential Intelligence – die Oberbefehlshaber von Armee und Polizei. Die Ministerin, die attraktive Tswana-Ministerin, stand in der Mitte, ihre Stimme klang scharf und schneidend, und ihre Wut erfüllte den Raum mit einer schrillen Lautstärke, denn der Präsident hatte sie zur Rechenschaft gezogen, er hatte nicht angerufen, sondern sie vorgeladen. Er hatte sie auf seinem roten Teppich stehen lassen und sie abgekanzelt. |345| Die Wut des Präsidenten sei stets kontrolliert, sagte sie, aber nicht an diesem Morgen. Die Ministerin sagte, die Wut des Präsidenten sei grenzenlos, denn alles hinge derzeit in der Schwebe, Afrika habe um wirtschaftliche Unterstützung zum Aufbau des Landes gebeten, und die USA und die EU, der Commonwealth und die Weltbank mußten nun darüber entscheiden. Und als wären alle Mißverständnisse und die Unterminierung durch diesen ganzen AIDS-Mist nicht schlimm genug, entführen wir jetzt auch Frauen und Kinder und jagen Kriegsveteranen auf Motorrädern durch das Land? Also bitte! Und jeder, der eine noch so blöde Meinung dazu hat, was auf
Weitere Kostenlose Bücher