Das Herz des Jägers
zögerte eine Sekunde, bevor sie ansprang, dann hob er die Hand und fuhr davon. Er schaltete langsam hoch, gab dem Motor Zeit, warm zu werden. Es fühlte sich gut an, denn jetzt konnte er die Sache wieder kontrollieren, er war auf der Straße unterwegs, vierter, fünfter, sechster Gang, 140 Stundenkilometer. Er nahm die richtige Position ein, er fand den richtigen Winkel, der Großteil seines Oberkörpers hinter der Windschutzscheibe, leicht vornübergebeugt, und dann ließ er die Nadel nach rechts kriechen und schaute in den Rückspiegel und sah, wie Koos Kok und der Chevy hinter ihm auf der Straße immer kleiner wurden.
Die Digitaluhr zeigte 15:06 an. Er dachte an die Straßenkarte, zweihundert Kilometer Asphalt bis Petrusburg – das war der gefährliche Teil, im Tageslicht auf der R48 –, aber es war eine stille Straße. Petrusburg um halb fünf oder fünf. Tanken, und selbst wenn man ihn meldete – es gab dort jede Menge Feldwege nach Norden, zu viele, um sie zu patrouillieren. Er würde die Wahl haben, er konnte nach Dealesville oder Boshof fahren, seine Möglichkeiten würden zunehmen, und dann würde es auch dunkel sein, und wenn alles gut lief, konnte er die Grenze in Mafikeng vor Mitternacht erreichen. Dann war er davongekommen, er war in Sicherheit, und er würde Miriam aus Lobatse anrufen, er würde ihr sagen, daß er in Sicherheit war, ganz egal, was sie im Radio behaupteten.
|226| Erst einmal jedoch mußte er es bis Petrusville schaffen und den Orange River überqueren.
Wenn er eine Straßensperre einrichten müßte, dann würde sie sich am Big River befinden, wie Koos Kok ihn genannt hatte. Man konnte die Brücke schließen. Es gab laut Karte keine andere Möglichkeit, wenn man nicht bereit war, sein Glück in Orage zu versuchen.
Bei dem Gedanken mußte Thobela lächeln.
Was für ein eigenartiges Land!
Was würden die Buren in Orage denken, wenn er in einer Staubwolke zum Stehen kam und sagte: »Ich bin Thobela Mpayipheli, Jungs, und die ANC-Regierung würde mich gerne in die Finger bekommen«? Würden sie beschließen: »Wenn du gegen die Regierung bist, bist du einer von uns«? Eher nicht.
Er überholte einen Lastwagen mit Schafen, er bremste ab und blinkte wie ein gesetzestreuer Bürger, dann beschleunigte er wieder. Er legte das Bike in die Kurven, als die Straße sich zwischen den Hügeln hindurchwand, er sah sich um. Was für ein schönes Land! Farbenfroh. Das war der größte Unterschied zwischen dieser Gegend und der Karoo. Es war viel bunter, als hätte Gottes Palette auf dem Weg nach Süden immer weniger Einsatz gefunden. Hier war das Grün grüner, die Hügel waren brauner, das Gras war gelber, der Himmel blauer.
Die Farbigkeit war das Problem dieses Landes. Der Unterschied der Farbtöne …
Die Straße führte nun wieder geradeaus, ein schwarzes Band, das sich vor ihm erstreckte, durch Wiesen und Dornenbüsche. Eine Reihe Kumuluswolken, eine Armee, die über den Himmel zog. Dies war das Antlitz Afrikas. Unverkennbar.
Zatopek van Heerden sagte, es liege nicht an den unterschiedlichen Hautfarben, es seien die Gene. Van Heerden war ganz groß mit Genen. Gene hatten die Buren dazu gebracht, in das andere Lager zu wechseln. Van Heerden |227| sagte, Rassismus sei angeboren, der menschliche Drang, seine Gene zu beschützen, sich mit ähnlichen Menschen zu umgeben, damit die Gene überlebten.
Thobela hatte widersprochen, denn van Heerdens Auffassung war zu leer. Zu unverrückbar. Zu einfach.
»Ich kann also einfach tun, was ich will, und dann mit den Achseln zucken und sagen: ›Es sind die Gene.‹?«
»Du mußt unterscheiden zwischen der genetischen Programmierung und der Moral, Thobela.«
»Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll.«
Van Heerden hatte die Schultern sinken lassen, als wäre das Gewicht seines Wissens zu schwer für ihn.
»Es ist nicht leicht zu erklären.«
»Das ist normalerweise der Fall bei absolutem Schwachsinn.«
Gelächter: »Das stimmt, verdammt, aber in diesem Fall nicht. Das Problem ist, daß die meisten Leute die großen Wahrheiten nicht wahrhaben wollen. Du mußt dir mal anschauen, was für Briefe die Leute zum Thema Evolution an den
Burger
schreiben. Und nicht nur dahin. In Amerika wollen sie heutzutage die Evolutionstheorie nicht mal in der Schule unterrichten. Die Beweise sind überwältigend, aber sie kämpfen bis zum bitteren Ende.«
Van Heerden sagte, die Evolution zu akzeptieren sei der erste Schritt. Menschen entwickeln sich durch
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