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Das Herz des Jägers

Titel: Das Herz des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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des Gare du Nord in Montmartre. Er arbeitete in einer Bäckerei, er fegte den mehligen Boden, trug Säcke und Kisten, schrubbte die großen mechanischen Mischmaschinen, trug am Morgen die Baguettes aus, Arme voller Brote. Im Winter wurde der Dampf, der vom warmen Brot in seine Nase stieg, zum Duft von Paris, frisch, exotisch, wundervoll. Und am späten Nachmittag, wenn die Sonne sich senkte und die ganze Stadt von der Arbeit nach Hause zurückkehrte, ging auch er zurück in seine Wohnung im ersten Stock in der Nähe des Museums Salvador Dalí. Jeden Tag nahm er den langen Weg, die Stufen hoch bis zu Sacré-Cœur, der Kirche des Heiligen Herzens. Er setzte sich oben auf die Treppe, sein Körper war angenehm ermüdet, und er schaute zu, wie der Abend die Stadt eifersüchtig für sich vereinnahmte. Er lauschte den Geräuschen, er beobachtete, wie die Schatten grauer wurden, er sah die geduckte Masse der Notre-Dame, die sich windende Seine, das goldene Sonnenlicht, das sich in der Kuppel des Invalidendoms spiegelte, die würdige Einsamkeit des Eiffelturms, und im Osten den Arc de Triomphe. Er blieb sitzen, bis all diese Sehenswürdigkeiten im Dunkel verschwunden waren und die Lichter wie Sterne am Firmament der Stadt glitzerten; um ihn bildete sich eine Wunderwelt ohne Grenzen.
    Dann erst erhob er sich und ging in die Kirche, er ließ sich von ihrem inneren Frieden erfüllen, bevor er eine Kerze für jedes seiner Opfer anzündete.
    Die Erinnerung erfüllte ihn mit einer tiefen Sehnsucht nach der Einfachheit jener zwei Jahre, und er dachte, daß er mit dem Geld in der Sporttasche, wenn er nur weiter nach Norden fuhr, in einem Monat dort sein könnte.
    Thobela lächelte bitter unter seinem Helm – wie ironisch, |255| daß er jetzt dort sein wollte, denn das einzige, was ihm damals gefehlt hatte, sein großes Verlangen, war eben jene Landschaft gewesen, die sich nun vor ihm erstreckte. Wie oft hatte er sich gewünscht, daß er den schirmförmigen Umriß eines Thorn Trees vor einem grauen Feld sehen könnte, wie sehr hatte er sich nach dem erderschütternden Grummeln eines afrikanischen Donnerwetters gesehnt, die dunkle graue Form von urwüchsiger Macht, die Weite des Landes, die endlose Weite Afrikas.
     
    Vincent Radebe wartete an der Tür des Einsatzraums auf sie und sagte: »Ma’am, ich werde ein Klappbett für Mrs. Nzululwazi bringen lassen; mir ist klargeworden, daß wir sie nicht freilassen können.«
    Janina legte dem schwarzen Mann die Hand auf die Schulter und sagte: »Vincent, ich weiß, daß es keine einfache Entscheidung war. Das ist das Problem bei unserer Arbeit: Die Entscheidungen sind niemals einfach.«
    Sie ging in die Mitte des Saales. Sie erklärte, daß jedes Team entscheiden müßte, wer die Nachtschicht übernahm und wer nach Hause ging, um zu schlafen, so daß sie am Morgen frisch mit der Arbeit beginnen konnten. Sie sagte, sie selbst werde ein oder zwei Stunden abwesend sein, da sie ihre Kinder sehen wollte. Wenn es etwas zu besprechen gäbe, hatten sie ihre Handynummer.
    Radebe wartete, bis sie gegangen war, bevor er langsam und mißmutig zum Verhörzimmer ging. Er wußte, was er der Frau zu sagen hatte, er mußte nur noch die richtigen Worte finden.
    Als er die Tür aufschloß und eintrat, sprang sie sofort auf.
    »Ich muß gehen«, sagte sie.
    »Ma’am …«
    »Mein Kind«, sagte sie. »Ich muß mein Kind abholen.«
    »Ma’am, es ist sicherer, daß Sie hierbleiben. Nur eine Nacht …« Er sah die Angst in ihrem Gesicht, die Panik in ihrem Blick.
    |256| »Nein«, sagte sie. »Mein Kind …«
    »Beruhigen Sie sich, Ma’am. Wo ist der Junge?«
    »Im Kindergarten. Er wartet auf mich. Ich bin schon zu spät. Bitte, ich flehe Sie an, Sie können das meinem Kind nicht antun.«
    »Sie werden sich um ihn kümmern, Ma’am.«
    Sie weinte und sank auf die Knie. Sie umklammerte sein Bein. Ihre Stimme war gefährlich schrill geworden: »Bitte, mein Bruder …«
    »Nur eine Nacht, Ma’am. Sie werden sich um ihn kümmern, dafür werde ich sorgen. Es ist sicherer so.«
    »Bitte!«
     
    Thobela las auf dem Schild am Straßenrand, daß es nur noch zehn Kilometer bis Petrusburg waren. Er atmete tief durch, er stählte sich für das, was vor ihm lag, das nächste Hindernis auf seinem Weg. Er mußte die Hauptstraße kreuzen, bevor er sich wieder irgendwo im Hinterland mit den Feldwegen und verzweigten Zufahrten verlieren konnte. Es war die letzte Hürde, bevor der Weg nach Botswana offen vor ihm lag.
    Außerdem

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