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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Beine für sich denken zu lassen, und trotzdem fühlt er sich nicht wohl.
    Sie ist weggeritten. Erst lag sie auf den Knien, auf allen vieren, wie gelähmt, wie in Gedanken, richtete sich dann auf und sah den Jungen an, eine Locke klebte ihr auf der Stirn, und in ihren harten Augen schimmerte es kaum merklich feucht. Sie sahen einander an, außer dem grasenden Pferd war nichts zu hören. Sie griff nach ihrem Handschuh, stand auf, strich das Kleid nach unten, richtete die Bluse oder das Hemd oder was es denn nun war, er weiß es nicht, sie fuhr sich über die Haare, kalt in ihrer Schönheit, wie lange kann Kälte schön sein? Und dann war sie weg. Schnell ritt sie davon und verschwand bald aus seinem Blickfeld, aber er stand ja auch in einer Kuhle, in einer geschützten Senke, einer Grube, doch ging er dann zu einem Bach, der zwischen grasigen Ufern floss. Er wollte sich übers Gesicht waschen, mit kaltem Wasser, er fühlte sich irgendwie erschöpft, taub, und er wollte sich auch unten waschen, das Blut abwaschen, das er gesehen hatte, als Ragnheiður mit einem unterdrückten Schrei so schnell von ihm abstieg. Ob es nun am Blut lag oder daran, wie Ragnheiður da auf allen vieren hockte, als würde sie weinen oder innerlich fluchen, jedenfalls wurde sein Glied rasch weich und schrumpfte. Er hockte sich an den Bach, zog die Hose runter, um sich ordentlich zu waschen, und da war das Blut geronnen, wie in Schuppen getrocknet und roch, und er dachte daran, wie alles in ihr gerissen war, wie sie gefaucht, wie sie konzentriert geradeaus geguckt hatte, als wäre er überhaupt nicht da, und anstatt sich zu waschen, fiel er selbst vornüber auf alle viere, krümmte sich und kotzte. Der Bach nahm diese Verzweiflung, Furcht, Wut und Scham entgegen wie alle Grashalme, die er zum Meer tragen sollte.
    Lässt sich zwischen Grashöckern, dem Himmel näher als dem Alltag, alles vergessen? Der Tag streut Vögel über die Heide, diese Töne zwischen Himmel und Erde, die Grashöcker sind schlafende Hunde, die Bäche silberhelle Musik, an solchen Tagen sind die Hochebenen wie eine Scheibe vom Paradies. Sie sind gegen fünf Uhr am Morgen aufgebrochen, kamen bald aus dem Tiefland in die Schönheit von Luft und Wiesenhöckern, und eine ganze Weile lang braucht man sich an nichts zu erinnern, kann man das Denken abschalten. Der Junge vergisst den gestrigen Tag, die Ungewissheit, die Brutalität und sogar Snorri und kommt erst weit oben auf der Hochfläche wieder zu Bewusstsein, bleibt stehen, dreht sich um und schaut zurück. Er sieht einen Punkt in der Ferne und legt sich ins sonnenerfüllte Gras, das weicher und heller ist als sein Leben, er sieht den segelnden Wolken zu, und das Leben kommt zu ihm. Der Junge blinzelt zu den Wolken auf, als ob er hoffte, dass sie ihn mitnähmen, diese Wolken, die über eine Fischerhütte ziehen, vor der fünf Männer am Ufer stehen und gerade damit fertig werden, ihre gefangenen Fische auszunehmen, während der sechste, Pétur, erfrischt vom schnellen Gehen Geirþrúðurs Gaststube betritt. Er ist gleich nach Beendigung der heutigen Ausfahrt aufgebrochen, hat die Verarbeitung des Fangs den anderen überlassen und sich gerade noch Zeit genommen, bei Elínborg einen Bissen hinunterzuschlingen, die etwas über seine Hast zischte.
    Habe was Dringendes vor, war die einzige Erklärung, die er gab, bevor er sich Richtung Ort auf den Weg machte.
    Wo geht Pétur hin?, fragte Elínborg die Männer, die bei ihrem Fang standen, und sah Árni an, doch der zuckte die Schultern.
    Männer haben nun mal Dinge zu erledigen, sagte er bloß.
    Einar schnäuzte sich ausgiebig zwischen den Fingern.
    Er ist natürlich losgezogen, um seine Andrea zu ficken, sagte er.
    Halt’s Maul!, schnappte Árni.
    Was willst du damit sagen?, fragte Elínborg und blickte Einar scharf an.
    Genau das, was ich gesagt habe, antwortete Einar.
    Was meinst du damit?, fragte Elínborg nach. Hat Andrea ihn denn nicht verlassen?
    Umso dringender muss Pétur sie ficken, erklärte Einar mit lauter, nachdrücklicher Stimme. Die hat’s längst nötig, ordentlich durchgefickt zu werden, die ist doch schon seit Langem nicht mehr ganz dicht, weil sie liest und sich wer weiß was einbildet.
    Árni: Jetzt halt endlich dein ungewaschenes Maul!
    Der Riese Gvendur und die beiden Aushilfsfischer, die für Bárður und den Jungen gekommen waren, hatten mit dem Arbeiten aufgehört.
    Man darf ja wohl noch was sagen, warf Elínborg ein, und Einar hat ja recht, was für

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