Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Ragnheiður, die im Sonnenschein reiten wollte, und der Junge sollte etwas für sie sein, er wusste nicht, was, aber er weiß es jetzt. Eine Zeit lang hatte er seine Träume, die mit ihr zu tun hatten, dumme Träume, nicht ohne einen Zug von Verrat, es sind ihre Leute, die Geirþrúður übel mitspielen und nach Möglichkeit erniedrigen, sie zumindest verletzen wollen. Solche Leute, hat Bjarni auf Nes gesagt, und seine Stimme hat erkennen lassen, dass jemand, der sich mit Ragnheiður einlässt, ihn, Bjarni, kaum noch einmal zu grüßen braucht. Dennoch kann er diesen Abstand zwischen den Augen, die Kälte in ihrer Miene nicht auf einmal hassen, vielleicht auch, weil er nie vergessen wird, wie sie zitterte, nachdem sie ihn zu Boden geworfen und genommen hatte. Er kann sie nicht hassen, aber auch auf keinen Fall lieben; was lieben denn nun auch immer sein mag.
Das Meer ist so still, dass die Hoffnung kaum schwankt, als der Junge vom Anleger auf die Häuser zugeht. Das Meer, in dem Brynjólfur verschwunden ist.
Erst hat der Junge nur geguckt. Zugesehen, wie der Kapitän an die Bordwand trat und sich darüber ins Wasser stürzte wie ein flugunfähiger Vogel. Brynjólfur hatte mit der ganzen Schwere seines Lebens und seinen Erinnerungen dagestanden, und dann war er verschwunden, nur der Regen zerplatzte noch auf dem Deck. So verging eine lange Zeit. In Wirklichkeit nicht mehr als zwei, drei Sekunden, doch waren es lange Sekunden, nicht viel kürzer als ein Leben. Der Junge starrte, sprang dann los, schrie etwas von Ertrinken und Sterben, und die Matrosen polterten wie Flüche aus dem Niedergang, wendeten das Schiff in einem großen, endlos langen Kreis, riefen den Namen ihres Kapitäns, bittend, fluchend, Snorri hörte auf zu spielen, kam nach oben, starrte in den Regen, der Himmel und Meer miteinander verband, und dachte: Das ist meine Schuld, es ist meine Schuld. Dann wurde Brynjólfur aufgefischt wie ein Stück Müll. Die anderen Ertrunkenen sahen seine Beine wild um sich schlagen und sagten untereinander: Da kommt wieder einer. Aber es kam anders, Brynjólfur hielt sich mit diesem Umsichschlagen über Wasser, er war total überrascht darüber, im Wasser gelandet zu sein, fragte sich aber auch, wozu er sich überhaupt abkämpfen sollte; ist es nicht viel besser und ehrenhafter, unterzugehen und auf diese Weise Frieden zu finden, alles hinter sich zu lassen, auch das Leben? Doch dann hörte er die Rufe seiner Männer, hörte sie seinen Namen rufen, und diese Stimmen und dieses Geschrei hielten ihn über Wasser, bis es ihnen gelang, ihn an Bord zu hieven.
Was, zum Teufel, ist dir denn eingefallen?, fragten sie, während sie über ihm an Deck standen, und waren stinkwütend – nur die Freude darüber, dass er noch am Leben war, hielt sie davon ab, ihn zu verprügeln.
Ich weiß es nicht, antwortete Brynjólfur. Er schlottert noch unten in der Kajüte, als der Junge mit dem Brief in der Tasche von Bord geht. Es sind nur wenige Menschen draußen, die Trockengestelle stehen leer im Regen, der eingesalzene Fisch wurde eingesammelt, gestapelt und zugedeckt.
Der Junge geht durch den Ort zum Haus, und es ist gut, dass sie abgereist ist, dass dieses große Schiff sie mitgenommen hat. Er spürt, dass es gut ist, ein bisschen so, als wäre er jetzt frei, obwohl er nicht weiß, wovon. Aber sonderlich gut geht es ihm nicht. Könnt ihr beiden Jungs euch manchmal besuchen?, hieß es in einem Brief seiner Mutter. Ihr dürft euch nicht davon abhalten lassen. Ihr dürft euch vom Leben nicht auseinanderreißen lassen!
Und dennoch ist es so gekommen. Sie haben sich nicht gegenseitig besucht, sie konnten es nicht, sie durften es nicht; sie haben sich aus den Augen verloren, zwei Brüder, jeder allein für sich in der Welt, zwei Briefe hat es gegeben, mehr nicht, Egill kam in eine andere Gegend, zog dann noch einmal um, das Leben hat sie auseinandergerissen, Berge und Distanzen wuchsen zwischen ihnen, und als sie sich endlich wiederfanden, als Snorri an die Tür einer schmutzigen Fischerhütte klopfte und Egill öffnete, da war es zu spät. Der Junge hat von Lilja gesprochen, ihrer Schwester, als sie da draußen in dem Boot mitten auf dem Fjord ruderten.
Weißt du noch, wie fröhlich sie immer war, wenn sie aufwachte? Wie sie lachte, wenn sie uns sah?
Aber Egill schnaubte: Woran glaubst du dich denn zu erinnern?
Ich weiß noch, wie ich mich gefühlt habe, hat der Junge zurückgegeben, nachdem er sich nach einer schnellen Aufwallung
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