Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
verfluchten Geilheit. Das Schwein!
Du musst mit Friðrik und Tryggvi zu einer Einigung kommen, sagt Helga, und es liegt Härte in ihrer Stimme, vielleicht aber auch etwas ganz anderes.
Klar, ich soll in das Damenkränzchen von Frau Pastor Guðrún eintreten, sagt Geirþrúður mit einem angedeuteten Lächeln, und ich soll mir angewöhnen, Tee zu trinken wie eine feine Dame, und nicht Kaffee schlürfen wie ein Seemann.
Lad sie hierhin ein, schlägt Kolbeinn vor. Und wenn sie sich auf ihren blank polierten Hintern niedergelassen haben, komme ich splitternackt die Treppe herab und senge ihnen mit ein paar richtig ungehobelten Unflätigkeiten die Köpfe ab. Dann bist du sie los.
Wieso nackt?, fragt Geirþrúður interessiert nach.
Ja, begreifst du denn nicht? Es ist so grauenhaft, einen nackten Mann zu sehen, wenn er alt ist, noch dazu einen Blinden, schauerlich! Und ich werde auch noch einen fahren lassen. Du weißt, dass ich stinken kann wie das Aas eines verwesenden Hammels.
Hör mit dem Blödsinn auf, unterbricht ihn Helga.
Vielleicht ist Blödsinn das Einzige, was hilft, gegen … alles, sagt Geirþrúður oder murmelt es vor sich hin und guckt dann eine Weile, wie wir alle es gern tun, obwohl es nichts mehr zu sehen gibt.
Am folgenden Morgen wird der Junge zu Jóhann geschickt, und den ganzen Tag lang regnet es aus diesem über uns hängenden Auge. Er holt Jóhann und bekommt anschließend erst Pfannkuchen bei Helga, ehe er zu Geirþrúður und Jóhann ins Zimmer tritt.
Hast du vor, dich mit ihnen zu einigen?, hat der Junge Geirþrúður zuvor gefragt.
Ich werde meinen eigenen Weg dahin finden müssen, hat sie geantwortet und ihn unerwartet berührt, ihm sanft über die Wange gestrichen, so zart, dass es ihm fast Tränen in die Augen getrieben hätte.
Am meisten fürchte ich, eine Niederlage könnte zu weiteren führen, das haben sie so an sich.
Doch Helga füttert ihn mit Pfannkuchen, setzt sich zu ihm, sieht ihm beim Essen zu, fragt nach seinem Bruder.
Es steht noch längst nicht fest, dass du ihn wieder verloren hast, sagt sie. Vielleicht ist er nicht so, wie du ihn dir erträumt hast, vielleicht ist er sogar völlig anders, aber ihr habt dasselbe Blut, und Blut kann stärker sein und fester ziehen als alles andere.
Er hat vor, hierherzukommen, sagt der Junge. Mit seinen Freunden, und er erwartet, dass er hier für sie alle Rabatt bekommt.
Wir kümmern uns um sie, wenn es so weit sein sollte, erklärt Helga. Es ist nicht immer das Einfachste, mit anderen blutsverwandt zu sein. Manchmal fordert es einem mehr ab, als es einem gibt.
Gegen Abend geht der Regen in dichten Sprühregen über, dann in Nebel, dichten Nebel, und alles verschwindet, selbst die Berge, als gäbe es sie gar nicht, dabei sind sie bedeutend größer als unser Leben. Mit dem Nebel kommt die Stille. Die Menschen verziehen sich in ihre Häuser, und bis auf ein paar Seeleute ist niemand draußen. Es sind ein paar verrückte Dänen, die um Mitternacht vorsichtig an Land kommen, sich auf der Suche nach dem Sodom im Nebel verlaufen und auf ihre isländischen Kollegen treffen, die sich mit ihnen schlagen, die es diesen dänischen Schwächlingen zeigen und sie fertigmachen wollen. Ihr habt keine Berge in euch! Eine Faust fliegt vor, trifft aber nur den Nebel, der jeden Schlag verschluckt, er bietet keinen Widerstand, lässt aber alles verschwinden. Es ist so merkwürdig, wenn alles verschwindet. Wir hören unsere eigenen Atemzüge und unser Herz klopfen. Es ist eine so große Stille in der Welt, dass ich es mit der Angst zu tun bekomme. Komm und leg dich zu mir, fühl die Wärme meiner Fingerspitzen, fühl, wie weich meine Lippen sind! Wenn die Welt verstummt und sich auflöst, rufe ich dich, bei dir bin ich sicher. Diese verteufelte Welt ist so lange bewohnbar, wie du mich liebst.
IV
Der Tag ist vergangen und kehrt nie wieder. Er kam, wir füllten ihn mit unseren Fehlern und Erfolgen, Treuebrüchen und kleinen Alltäglichkeiten, dann kam der Abend, und da sitzt der Junge im Hotel bei Gísli, der sich dort aufhält, seit er wortlos aufgestanden ist und Tryggvis Haus verlassen hat, obwohl er doch dem alten General Gesellschaft leisten sollte. Der alte Mann hatte sich ein Stündchen hingelegt, und Gísli sollte sich bereithalten, aber er war gegangen.
Auf dich kann man sich wirklich nie verlassen, wird Friðrik ihm sicher vorhalten.
Teufel, murmelt Gísli.
Was?, fragt der Junge.
Gísli: Ich fürchte, in den kommenden Tagen wird es
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