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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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von Wut wieder im Griff hatte.
    Sie sind alle tot, sagte Egill. Sie sind alle weg und kommen nicht wieder. Was bringt es denn, sich zu erinnern? Es bringt gar nichts, es macht dich nur weich, dir das in Erinnerung zu rufen. Du bist zu weich, das habe ich gleich gesehen, und du wirst untergehen, wenn du nicht in die Hände spuckst und dich hart machst. Ja, und wenn du es nicht schaffst, dich weiter hinter den Röcken der Weiber zu verstecken. Das hast du verdammt gut gemacht, dass du es geschafft hast, da reinzukommen, das muss ich dir lassen, hat Egill gesagt und einmal etwas kräftig Rotes über Bord gespuckt.

III
    Als Geirþrúður im Wohnzimmer den Brief öffnet, regnet es noch immer. Sie sind alle versammelt, Helga, Kolbeinn und ein nasser Junge, der erzählt, er sei mit der Hoffnung gekommen, Jonni habe sich den Arm gebrochen, ja, Snorri habe die Orgel, sei mit ihr zufrieden, habe die ganze Fahrt über auf ihr gespielt, das sei schön gewesen. Ich stand oben an Deck und lauschte auf den Regen und auf Bach – er hat gesagt, es ist Bach –, und manchmal hörte es sich an, als wäre die Musik größer als der Regen. Snorri spielte, während wir fuhren, und hörte erst auf, als Brynjólfur über Bord sprang. Nein, er ist nicht ertrunken, zum Glück. Er sagt, er weiß selbst nicht, wie er im Wasser gelandet ist. Ja, er war betrunken.
    Er kann mit Alkohol nicht umgehen, merkt Geirþrúður an.
    Helga: Dieses ganze Unglück.
    Geirþrúður: Diese ganze Schwäche.
    Was für einen Eindruck hat Christian auf dich gemacht?, fragt sie, nachdem sie den Brief gelesen hat. Er hängt von ihrer Hand herab, die auf der Sessellehne liegt.
    Er ist dick, sagt der Junge. Ich habe nicht gewusst, dass jemand so viel essen kann. In seinem Laden hängen Schilder, und auf allen steht »Zeit ist Geld«.
    Deshalb geht es ihm so gut, kommentiert Geirþrúður. Wer so denkt, kommt voran im Leben. Du weißt natürlich, was er geantwortet hat.
    Ich habe den Brief nicht gelesen.
    Geirþrúður: Du hast den Mann gelesen, also kennst du die Antwort.
    Du kanntest seine Antwort im Voraus?, sagt der Junge fragend, als käme er zu einer überraschenden Einsicht.
    Ich hätte beide Briefe schreiben können, sagt Geirþrúður.
    Warum hast du mich dann überhaupt auf diese Tour geschickt?
    Es tut dir gut, über die Berge zu wandern. Es ist gut für dich, solchen Menschen zu begegnen. War es keine gute Reise?
    Doch, sagt der Junge unbestimmt.
    Ist etwas vorgefallen?, fragt Helga.
    Du hast hoffentlich ein Mädchen getroffen, meint Kolbeinn und stößt seinen Stock auf den Fußboden.
    Da erzählt der Junge, dass er seinen Bruder wiedergefunden und sogleich wieder verloren hat, deshalb habe er draußen an Deck gestanden, im Regen, und deshalb habe er Brynjólfur über Bord fallen sehen.
    Das Unglück des einen ist manchmal die Rettung des anderen, sagt Geirþrúður.
    Aber warum schickst du Christian einen Brief, wenn du genau weißt, dass es sinnlos ist?
    Er hat eine gewisse Schwäche für mich.
    Dieser fette Kerl, platzt es aus dem Jungen heraus.
    Christian hat großen Appetit, sagt Geirþrúður und lächelt, als spräche sie von etwas Lustigem. Vielleicht ist es auch nur Gier, fährt sie fort.
    Der Kerl ist eine Drecksau, sagt Kolbeinn heiser, ein verheirateter Schmutzfink, der seine Frau in allen Vornehmheiten in Kopenhagen deponiert.
    Er hat mir einige Briefe geschrieben, sagt Geirþrúður, ganz unverblümte. Vielleicht hatte ich einfach nur Lust, den Kerl zu quälen, indem ich ihn an seine großen Worte erinnerte. Ich dachte mir, dass er sich nicht mit Tryggvi und Friðrik anlegen will. Er hat mir versprochen, mir die Welt zu Füßen zu legen, unter der Voraussetzung, dass ich ihn an mich heranließe, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu provozieren. Es ist ein Riesenunterschied, große Worte zu machen oder Größe zu zeigen. Wir bekommen nicht häufig Gelegenheit, das zu demonstrieren. Manchmal habe ich den Eindruck, wir werden von großen Worten kleiner Leute regiert.
    Wir?, fragt Kolbeinn. Wer ist wir? Dabei dreht er den Kopf wie in einer vergeblichen Hoffnung, jemanden zu sehen.
    Helga: Von Christian ist also nichts zu erhoffen?
    Geirþrúður: Nein. Aber er schreibt, ich hätte schöne Augen, schöne Lippen, und dass er oft im Bett wach liege und an mich denke. Wahrscheinlich an andere Körperteile als die Augen.
    Helga: Wir werden unseren Fisch doch nicht auf seiner Schlaflosigkeit auslegen.
    Kolbeinn: Oder auf seiner

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