Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
weil wir es zulassen. Ich glaube, es ist schwer, das Licht zu suchen, oft sehr schwer, aber ich glaube auch, kein anderer findet es für uns. Kein Gott, kein Jesus, der vielleicht besser eine Frau gewesen wäre, denn dann wäre die Welt eine andere und bessere, kein Statthalter, keine Landwirtschaft, kein gedecktes Schiff, kein Buch. Wenn wir nicht selbst aufbrechen, wird nichts aus dem Leben. Wir müssen leben, um den Tod zu besiegen, das ist das Einzige, was wir können und vermögen. Wenn wir so gut leben, wie wir können, und besser sterben, dann besiegt uns der Tod niemals. Dann sterben wir nicht, sondern werden zu etwas anderem. Aber dafür habe ich keine Worte, um das zu beschreiben, meine ich. Vielleicht werden wir einfach nur Musik.
Damit brach er ab.
Er setzte sich, entdeckte das Glas in seiner Hand, erhob sich noch einmal, hob verwirrt das Glas und wollte sich wieder setzen, doch da erhoben sich alle, es wurde angestoßen, und der Regen erzählte auf dem Dach alte Geschichten.
Eine schönere Hochzeitsrede als die kann ich mir gar nicht wünschen, sagte Geirþrúður. Jetzt kommt es auf uns an, Gísli.
Ja, stimmte er zu. Hol’s der Teufel! Damit leerte er versehentlich sein Glas.
Jakobína, die Magd, die Anfang April Jens entkleidet und ins Leben zurückmassiert hatte – vielleicht ein bisschen zu ausgiebig, aber es war so verlockend gewesen, mit den Händen auch dorthin zu streichen, wo sie eigentlich nicht hingehörten –, Jakobína also hatte erstaunlich schnell einen sitzen, sie hatte vorher noch nie Bekanntschaft mit Rotwein gemacht, und Staunen und Traurigkeit wechselten sich auf ihrem hübschen Gesicht ab.
Kjartan beugte sich über den Tisch und sagte zu dem Jungen: Ich danke dir für diese außergewöhnliche Ansprache. Sie war vielleicht ein wenig zu unkonventionell für eine Hochzeitsrede und hätte etwas christlicher ausfallen dürfen, so darfst du nicht von Jesus sprechen, aber sonst war die Rede ganz anregend.
Du schreibst, sagte Geirþrúður da zu Kjartan.
Tue ich das?
Das ist mir zumindest gesagt worden. Und außerdem sollst du auch übersetzen, das ist allerdings bekannter. Du bist also Schriftsteller.
Gott bewahre, sagte Kjartan erschrocken und stolz und leerte sein Glas. Das sind alles bloß Grübeleien, schob er nach und blickte beiseite.
Gísli brummelte etwas vor sich hin, aber der Riese Gvendur soff den Wein wie Wasser, guckte ab und zu etwas orientierungslos um sich, sein großes Herz schlug, er kippte noch zwei Gläser, und die waren eindeutig zu viel. Er stand auf, gab etwas Unverständliches von sich, schaffte es gerade noch vor die Tür und gab da auch den gesamten Wein wieder von sich, und das gute Essen obendrein, dieses unglaublich gute Essen. Was für eine Schande! Aber es war ja überhaupt alles zum Teufel gegangen, zusammengebrochen, kaputt, das Leben, das sich jahrelang um Pétur, Einar, Andrea, die Fischerhütte und den Hof gedreht hatte, das Verlässlichste vom Verlässlichen, dieser Berg war plötzlich wie weggefegt, und es war nur noch etwas höchst Unbegreifliches und Schwindelerregendes übrig geblieben. Er kotzte Galle, Furcht und Verständnislosigkeit, erbrach Ängste, und es fühlte sich an, als würde er sterben, es drückte ihn zu Boden, er kniete auf allen vieren und hatte Schüttelfrost und fühlte, wie sich eine Hand auf seine kalte, schweißüberströmte Stirn legte.
Bist du der Tod?, fragte er ziemlich jämmerlich mit Erbrochenem in der Nase, Galle im Mund und Tränen in den Augen.
Nein, sagte Helga, ganz so schlimm bin ich wohl nicht.
Dann half sie ihm in die Kammer des Knechts, der in der Kirche schnarchte, stützte den schweren Kerl die Stiege hinauf, nachdem sie ihm Tränen und Erbrochenes abgewischt hatte.
Eijeijei, wimmerte Gvendur.
Ja, sagte Helga. So, na komm, beruhigte sie ihn. Und brachte den Riesen zu Bett, steckte ihn nackt unter die Decke. Erst ihn, dann sich. Diese schöne Frau mit Klugheit, Überlegung und etwas Strenge in den grauen Augen legte sich zu ihm. Sie öffnete ihr Haar, und es floss ihr über den nackten Rücken und zum Teil über ihre kleinen Brüste, ihre Hände, weicher als Wolken, streichelten über seinen Arm und die Brust hinab zum Bauch in die Weiche und noch tiefer.
Gut, dass du nicht überall so riesengroß bist, sagte sie, und Gvendur schloss die Augen aus Schüchternheit oder, wer weiß, vor Glück.
Ist dieses Leben zu begreifen?
XI
Der Junge stößt das Boot vom Land ab, schiebt noch einmal mit dem
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