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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Selbstverständlichkeit bezahlen, Menschen in dichtem Nebel zum nächsten Hof zu begleiten, dann wäre die Welt wirklich nicht mehr in Ordnung, aber etwas im Auftreten dieser Frau lässt ihn die Flasche mit einer angedeuteten Verbeugung annehmen.
    Es ist nicht schön, jemanden anzustarren, sagt er leise zu seiner Tochter, die kaum ein Auge von Geirþrúður, ihrem Kleid und ihrer Erscheinung wenden kann. Dann drehen die beiden um und gehen zurück, das Kind mit klopfendem Herzen und der Nadel, die Geirþrúður aus ihrem Hut gezogen und ihr geschenkt hat, der Mann mit der Flasche. Leider hat er sich nicht getraut, die Frage zu stellen, die ihm auf den Nägeln brannte: Wie trinkt man Rotwein?

X
    Spätabends ging der Nebel in dichten Regen über. Es regnete so heftig, dass es fast völlig dunkel wurde zwischen den Tropfen, die doch transparent sind wie die Unschuld. Der Junge sollte in Séra Kjartans Arbeitszimmer schlafen, da atmete er den Staub ein, Bücher und zigtausend Wörter, Gedanken, die den Menschen befreien sollten, es aber nicht immer tun. Er lauschte dem Regen, der ihm etwas sagen wollte, aber schlief darüber einfach ein. Nicht einmal sein Herz konnte ihn wach halten, dieser unruhige Muskel, dieses musikalische Werk, diese dunkle Höhle. Der Regen murmelte etwas, der Junge schlief.
    Ich soll euch trauen?, hatte Pastor Kjartan gefragt und den Kopf zurückgelegt. Das war das einzige Zeichen seiner Verwunderung, ansonsten tat er, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, aber Gísli hatte sich die Hände an den Seiten seiner Jacke abgewischt wie ein verlegener Junge. Sie hatten noch im Vorbau gestanden, waren kaum ins Haus getreten. Kjartan hatte begeistert gerufen: Wem habe ich diesen wundervollen Besuch zu verdanken? Soll ich den Nebel dafür preisen?
    Nein, hatte Geirþrúður erwidert, das würde wohl nicht viel bringen. Gísli und ich sind gekommen, um uns trauen zu lassen.
    Ich soll euch trauen?, hatte Kjartan gefragt und den Kopf zurückgelegt, doch da kam Anna aus der Küche und sah verschwommen die Umrisse von Gästen. Geirþrúður stellte sich ihr vor, eine kalte Hand drückte eine warme.
    Das freut mich, sagte Anna so aufrichtig, dass in Geirþrúðurs Augen so etwas wie Schüchternheit aufflackerte, irgendwo tief hinten in deren Schwärze.
    Ich hätte nicht zu hoffen gewagt, fuhr Anna fort, dass unser Gísli einmal eine so gute Frau finden könnte. Möge Gott euch vor allem Unglück bewahren.
    Geirþrúður neigte den Kopf, als würde sie Annas Worte wie einen Segen empfangen.
    Die Zeremonie fiel sehr kurz aus. Der Nebel war noch dichter als zuvor, sodass ein Ortsunkundiger kaum den Weg vom Haus zur Kirche gefunden hätte. Es wurde keine Musik gespielt und nicht gesungen.
    Sollen wir etwas singen?, fragte Kjartan, obwohl er die Antwort kannte. Dann waltete er seines Amtes. Nur der Junge, Helga, Kolbeinn und Gvendur waren anwesend, das Personal bereitete das Hochzeitsmahl vor. Die Lachsforellensuppe köchelte, und irgendeine Sorte Fleisch wurde zubereitet, während Kjartan in der Kirche Geirþrúður und Gísli aus dem Zustand der Finsternis in den heiligen Stand der Ehe versetzte und dem frischvermählten Paar seinen Segen spendete. Auf den Fenstern lag der Nebel. Kjartan sah das Paar an und wollte gern etwas sagen, überlegte vielleicht, welche Worte sich finden lassen, um ein Leben wiederaufzurichten, welche Worte das Unglück besiegen, gab es aber ziemlich ratlos und leer wieder auf und segnete sie mit den abgedroschenen alten Formeln, mit diesen abgetragenen und verschlissenen Fetzen, in die wir uns immer noch kleiden, weil wir keine anderen gefunden haben; die Realität und die Kälte aus dem Weltraum dringen aber ziemlich ungehindert durch sie hindurch. Die anschließende Feier wurde im Übrigen ein schönes Fest.
    Der Nebel lag dicht ums Haus, aus dem späten Nachmittag wurde Abend, und das Fest begann, nur manchmal schüttelte Kjartan den Kopf.
    Hast du vielleicht Kopfschmerzen, Freund?, erkundigte sich Gísli einmal, und darauf antwortete der Pfarrer: Ja, jedes Mal wenn ich versuche, die Welt zu begreifen.
    Dann ging der Nebel in diesen Regen über, und so gutes Essen und so guter Wein waren in Kjartans und Annas Haus wahrscheinlich noch nie gegessen und getrunken worden. Der Knecht, der Jens und den Jungen auf die Heide geführt hatte, erzählte Geschichten über lebende und verstorbene Pfarrer und wieherte ein bisschen dazu. Er war schnell betrunken, vergriff sich in

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