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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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und auch noch stürmisch sein, aber ich kann trotzdem fröhlich sein. Ich kann einfach nichts dagegen tun.
    Andrea: Wenn ich nur wäre wie du.
    Rakel: Das gefällt aber längst nicht allen.
    Andrea: Wem gefällt was nicht? Deine Freude?
    Da sind vor allem zwei, die manchmal böse auf mich sind, sagt Rakel und reibt sich ihre rauen Hände, wie um sich zu beruhigen. Sie sagen, ich hätte noch nie etwas durchmachen müssen, ich sei alleinstehend und müsse nichts Schlimmes aushalten, brauche nichts durchzumachen. Manchmal sagen sie, ich wäre nie verprügelt worden, ich hätte nie ein Kind verloren und könnte deswegen so lustig sein. Und darum sei ich dumm. Es mag stimmen, dass man ein bisschen verrückt sein muss, um auch dann fröhlich zu sein, wenn man den Tag damit beginnt, das Eis von den Fischen zu brechen, und es liegt Schnee auf den Bergen, und sie sind so hoch, und der Wind ist vielleicht so eisig, dass uns kalt wird bis auf die Knochen und bis in den Kopf hinein. Die beiden sagen zu mir oft ein böses Wort. Nein, nicht oft, ich darf nicht die Unwahrheit sagen, aber manchmal schon.
    Manchen Menschen ist nicht zu helfen, sagt Andrea. Hör nicht auf sie. Es steckt so viel Gift und Galle in den Menschen.
    Es ist nicht gerecht von ihnen, sagt Rakel.
    Nein, natürlich nicht, bestätigt Andrea.
    Ich habe nämlich sehr wohl vieles durchgemacht.
    Andrea: Hör nicht auf diese Krähen! Wenn die bloß von dem Brief wüssten, den du bekommen hast!
    Rakel: Mein Vater hatte sehr kräftige Arme. Davon habe ich nie jemandem erzählt.
    Nein, sagt Andrea zögerlich, tastet nach dem Kaffee und schiebt Rakel den Zwieback hin. Die nimmt einen, führt ihn langsam zum Mund, beißt aber nicht ab, der Arm sinkt herab, und die andere Hand legt sich wie schützend über den Zwieback.
    Ich bin fast sicher, dass der Teufel sie dirigierte, wenn er betrunken war. Meine Brüder sind weggegangen, sobald sie konnten. Bjössi lebt in Winnipeg oder ganz in der Nähe, glaube ich. Es gibt da viele Bäume. Illugi liegt auf dem Meeresgrund. Den kriegst du nicht mehr zwischen die Finger, habe ich zu Vater gesagt, als Illugi auf See geblieben war. Mama hat nie etwas unternommen, vielleicht war sie einfach nur froh, wenn sie zwischendurch einmal in Frieden gelassen wurde; er hatte wirklich sehr kräftige Arme, er war bärenstark und tat, was er wollte und … Bjössi hat mir gesagt, ich solle zu ihm kommen, und ich war wirklich versucht, ist bestimmt schön, Bäume in den Himmel wachsen zu sehen und die Vögel in ihnen zu beobachten, aber ich konnte Mutter nicht im Stich lassen, und als sie starb, traute ich mich nicht, ich wollte, aber Vater hat es mir verboten, und er konnte das, denn was er sagte, war einfach stärker als ich. Eines Tages aber, bei sehr schlechtem Winterwetter, hat er sich zu weit vom Haus entfernt und wurde erst viele Tage später gefunden. Da bin ich hergekommen. Ich habe das Vieh verkauft und bin hergekommen, aber nicht weiter. Ich glaube, Amerika ist zu groß für eine wie mich, sagt sie und verstummt dann. Sie sitzt reglos da, hat, während sie erzählte, den Zwieback zerbröselt, und ihr Schoß ist von Krümeln übersät.
    Meine Ärmste, sagt Andrea, gießt mehr Kaffee in Rakels Tasse und wischt ihr die Krümel vom Schoß. Meine Ärmste, wiederholt sie und streicht ihr schnell über die Wange. Sie sind im gleichen Alter, und trotzdem ist Rakel so viel jünger, im Grunde sogar jünger als ich, denkt der Junge und betrachtet Rakel, die sich einen neuen Zwieback genommen hat. Sie bricht ihn entzwei und tunkt die eine Hälfte in den Kaffee. Ja, sagt sie, und ihr Kopf zittert leise, ebenso wie ihre Lippen.
    Ich dachte, sagt sie so leise, dass sich die beiden anderen unwillkürlich vorbeugen, um sie besser zu verstehen, denn Gíslis Schritte und Gemurmel übertönen fast Rakels Stimme. Ich dachte sogar, sie hätten jemanden damit beauftragt, mir den Brief zu schreiben, um ihren Schabernack mit mir zu treiben, und sie hätten Oddur dazu gebracht, mitzuspielen, und das fand ich so schrecklich, denn ich weiß doch genau, wer Oddur ist. Er hat mich manchmal beobachtet, aber auf eine nette Weise, und dann habe ich angefangen zu träumen. Ich bin sicher blöd, aber ich glaube, dass auch dumme Menschen Träume haben, es sind nur eben blödere Träume.
    Ich habe den Brief geschrieben, bekennt der Junge. Oben hebt Gísli die Stimme und stampft mit dem Fuß auf, dass die Luft erzittert wie ein dräuender Himmel.
    Er hat mich darum gebeten,

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