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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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trotzdem nichts zu bedeuten. Ich denke ja zum Beispiel auch an den Frost, der im Boden taut und alles nass werden lässt, und wir bekommen alle nasse Füße. Nur Du nicht, denn Du hattest so gute Schuhe, die Leute hier reden immer noch davon, und dann gibt es diese amerikanischen Stiefel, in denen man angeblich nie nass wird. Das glaubt kaum einer hier. Es hat also nichts zu bedeuten, dass ich an Dich denke. Es wird so viel gedacht, hier in Island, schon seit das Land besiedelt wurde, seit tausend Jahren. Manche scheinen allerdings nie zu denken, nie. Hast Du das auch festgestellt? Solche Menschen sehen im Gesicht aus wie nasses Heu. Jetzt höre ich auf. Manchmal denke ich auch an Pferdekutschen, an Kätzchen oder an den Jupiter, der ein großer Planet und doch bloß ein kleiner Lichtpunkt am Himmel ist. Manchmal denke ich an Regen in China, den kennst Du bestimmt auch. Ich denke an alles Mögliche. Es hat also nichts zu bedeuten, wenn ich auch mal an Dich denke. Ich sitze auf einem Schemel, nein, das habe ich schon geschrieben. Der Schnee taut auf dem Berg hier oberhalb. Du siehst, es passiert wenig hier. Das Leben hier besteht aus tauendem Frost und schmelzendem Schnee. Ist es da ein Wunder, dass man auf den Gedanken kommt, einen Brief zu schreiben? Trotzdem flunkere ich, das Leben ist nicht nur tauender Frost und Schnee. Sigurður der Kaufmann ist zum Beispiel mal mehr, mal weniger betrunken. Gestern konnte er nicht mehr stehen, am Tag davor war er so aufgedreht, dass ihn seine Frau im Haus einsperren musste. Sie scheint einen Trick zu kennen, wie sie ihn drinnen halten kann, wenn es wirklich nötig ist. Dieser Hjalti, der bei Euch war, ist noch immer nicht gefunden worden. Das Arztpaar hat Männer rüber nach Nes geschickt. Das muss ja ein Ort sein! Kein Hjalti da, aber auf dem Hof ging es allen gut, haben die Männer berichtet. Männer können so blöd sein! Die Leute da haben sich vielleicht auf den Beinen gehalten, aber gut ging’s denen bestimmt nicht. Sollte ich vielleicht mal hingehen und nie zurückkommen? Ob Du Dich wohl erholt hast? Ihr habt nicht sonderlich gut ausgesehen, als Ihr von hier aufgebrochen seid. Ihr hattet immer noch den Frost in Euch, besonders der Lange, Jens. Er hat es bis zu sich nach Hause geschafft. Seine Schwester hat sich unwahrscheinlich gefreut. Ich höre, sie soll ein viel besserer Mensch sein als wir. Du siehst, das Blatt ist voll, ich habe keinen Platz mehr. Ich sollte es auch besser lassen. Ich weiß, dass ich nicht schreiben kann, das brauchst Du mir nicht zu sagen. Meine Buchstaben sehen hässlich und gerupft aus wie alte Hühner.

XIII
    Manchmal denke ich an dich. Es ist gut, durch den Ort zu gehen und hinauf, dorthin, wo die Grasbüschel weich sind, du legst dich zwischen sie, und es ist, als würden sie dich umfangen. Der Junge liegt zwischen ihnen und guckt in den Himmel. Manchmal denke ich an dich. Dann kam ich auf den Gedanken, dir zu schreiben. Also habe ich wohl an dich gedacht. Er liegt so lange da, bis sich die Vögel an ihn gewöhnen, sogar der Rotschenkel beruhigt sich. Manchmal denke ich auch an Pferdekutschen, an Kätzchen oder an den Jupiter, der ein großer Planet und doch bloß ein kleiner Lichtpunkt am Himmel ist. Manchmal denke ich an Regen in China, den kennst du bestimmt auch.
    Helga regt sich auf, als er zurückkommt. Was soll das eigentlich, einfach so zu verschwinden? Es gibt Arbeit hier.
    Der Junge antwortet nur mit undeutlichem Gemurmel und ist so blass und neben sich, dass Helga nur noch Na ja sagt und ihn in die Wirtsstube schickt, als wüsste sie, wie er sich fühlt, als kenne sie seine Empfindsamkeit. Empfindsamkeit ist mein wahrster Traum, heißt es in einem uralten Gedicht, in einer Verszeile, die durch die Zeiten leuchtet, und es stimmt, Empfindsamkeit ist der Kern des Menschen; das fühlen wir so schmerzlich im Frühjahr, wenn das Dasein zwischen Leben und Tod auf der Kippe steht. Der Ruf des Regenpfeifers, dieser wehe Ton, erinnert uns daran, und manchmal zucken wir zusammen, wenn wir ihn hören; darum ist Ólafur oben an der Bergwand im Schneeregen in die Hocke gegangen und hat geweint, musste einfach weinen, weil er den wahrsten Traum des Menschen spürte und ihm gleichzeitig bewusst wurde, wie groß der Abstand zwischen seinen Träumen und der Welt ist, wie er sie eingerichtet hat. Dann wird es Abend.
    Es wird ein Abend mit schlechtem Wetter; wer kann, bleibt zu Hause, lauscht dem Wetter, liest im Þjóðviljinn . Die Isländer, steht

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