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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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längst abgezogen ist. Alle Stürme werden vergessen, oder fast alle, und das ist schlimm, denn sie sind doch grässlich, solange sie wüten, und Alleinherrscher über das Leben, Furcht einflößend haben sie alles in der Hand, reißen das Meer auf, schütteln den Himmel durch als weltbeherrschende Macht aus Wut und Kraft, vor der wir uns in unsere Häuser verkriechen wie Mäuse in ihre Löcher. Dann geht es vorbei und ist schon vergessen, das Gras richtet sich auf, die laue Brise weiß nichts von einem Sturm, und kein Unwetter hat den Alltag so entzweigeschlagen, dass er sich nicht wieder kitten ließe. Der Alltag ist das Gras des Lebens, heißt es irgendwo, ohne ihn gibt es nichts. Und das stimmt, Alltag ist wie Gras, du brennst es ab bis auf die Wurzeln, aber allmählich wächst es doch wieder, zwängt sich aus dem Dunkel ans Licht, und plötzlich blüht es wieder. Sicher hat uns der Sturm eingeschüchtert, solange er anhielt, er hat uns traurig und ängstlich gemacht, denn es ist Juni, die Domäne des Lichts, das der Sturm zerfetzte und der Regen wegwusch.
    Schrecklich, dieses Wetter, hat Jón, der Faktor von Leós Handel, bei Friðrik noch gesagt. Die Herren husteten, tranken drinnen im Zigarrenqualm mehr, als sie eigentlich wollten; einflussreiche Männer sind sie, regieren den Ort und bestimmen, wo Häuser stehen dürfen, ob wir uns aufrichten oder nicht, und doch sind sie auch nur Menschen, wenn so ein Unwetter seine Klauen in die Welt schlägt, auch ihnen fehlte das Licht, und sie haben sich darum noch einen eingeschenkt, wurden aufgeknöpfter, sagten alles Mögliche über Geirþrúður und etliches darüber hinaus, wie sie so wäre. Sie verstummten nicht mehr, wenn das Dienstmädchen eintrat und sich durch den Zigarrenqualm vortastete und hörte, was sie miteinander redeten.
    Die bekommt es nicht oft genug besorgt, sagte Sigurður. Frauen, die man nicht oft genug rannimmt, entwickeln Grillen im Kopf und werden schwierig. Der müsste man mal ein paar stramme Kerle vorbeischicken, das würde ihr den Kopf wieder gerade rücken.
    Sigurður war betrunken, hatte Knitterfalten im Jackett. Friðrik zog wie wild an seiner Zigarre.
    Red nicht solchen Stuss, sagte er, während seine Hände dem Mädchen über die Hüften strichen.
    Ein scheußliches Wetter ist das, hörte die junge Frau Jón sagen, als sie knapp entwischt war. Das ist ja unwahrscheinlich, setzte er noch hinzu, als ihm keiner zustimmte, verstummte dann und stierte betrunken vor sich hin, während Séra Þorvaldur gegen die Versuchung ankämpfte, sich das Mädchen und seine Hüftbewegungen vorzustellen. Der Sturm beutelte das Haus, wurde Schiffen gefährlich, und Jón erhob sich vorsichtig und wollte nach Hause. Krankheiten und Stürme sind das Einzige auf der Welt, wovor Tove Respekt hat. Am schlimmsten ist es, wenn es so in den Bergwänden dröhnt und heult, als würden sie sich brüllend über uns beugen und hätten genug von den Menschen, was man ihnen kaum verdenken kann. Tove hatte bestimmt schon überall die Vorhänge zugezogen und sich im Nordzimmer eingeschlossen, das kein Fenster hat und auf der windabgewandten Seite liegt. Ungeduldig und verängstigt wartete sie auf ihn, und er wollte zu ihr, sofort. Darum sagte er das mit dem scheußlichen Wetter, doch Friðrik blickte ihn verächtlich an, und Jón fühlte, wie er rot anlief, murmelte etwas, das sich nach einer Entschuldigung anhörte, und entkam aus dem Zigarrenqualm nach draußen in den Sturm. Es fühlt sich gut an, wichtig zu sein, wunderbar, zu trösten, was stärker ist als man selbst, und die Arme um sie zu legen. Einmal musste er an einer Hauswand Schutz suchen, sonst hätte ihn die Bö mit sich gerissen, und da sah er hinab zum Hafen, sah das gefährliche Schaukeln der heiligen Louise.
    Furchtbares Wetter, stöhnte er.
    Furchtbares Wetter, furchtbarer Unfall.
    »Der englische Logger St. Louisa aus Hull, 113,47 Tonnen, unter Kapitän J. Andersen am 29. Mai mit Waren für das Handelsunternehmen von Kaufmann Magnús hier eingetroffen, ist bei dem Orkan in der Nacht auf den 2. Juni im Hafen gekentert, die gesamte Besatzung von acht Mann kam dabei ums Leben. Das Schiff hatte seine Fracht bereits gelöscht und sollte am nächsten Tag gereinigt werden, um anschließend Salzfisch zu laden, den der Kaufmann über Winter hier eingelagert hatte, da sein eigenes Schiff, das den Fisch ursprünglich verfrachten sollte, letzten Herbst auf der Fahrt von England hierher untergegangen ist. Die St.

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