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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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gesagt.
    Ja dann.
    Gut, sagt der Junge und meint das auch so. Dann gehen wir hier rein.
    Durch den Haupteingang?, fragt Bjarni über die Eier gebeugt und stockt.
    Das ist besser.
    Wieso denn das?
    Sonst gehen wir durch den Schankraum, und da sitzen jetzt schon etliche.
    Es gibt hier viel zu viele Menschen, sagt Bjarni mit einem Anflug von Verzweiflung.
    Das ist wahr, stimmt ihm der Junge zu, ergänzt dann aber unwillkürlich: Und trotzdem sind es noch zu wenig.
    Helga kauft die gesamte Trage.
    Das ist Bjarni von Nes, hat der Junge ihn vorgestellt.
    Von Nes, hat Helga überrascht wiederholt, und vielleicht war sie erschrocken, verbarg es jedoch gut, und der Junge nickte. Helga bezahlt gut, aber angemessen, weil sie weiß, dass Bjarni alles andere übel nehmen würde. Sie zählt ihm die Münzen hin, Bjarni quittiert mit einem Kopfnicken. Andrea kocht Kaffee, spült die Eier ab und ist froh, etwas zu tun zu haben. Manchmal hat sie den Eindruck, es seien einfach zu viele Hände im Haus oder zu wenige Aufgaben zu erledigen. Ólafía hält sich mit Áslaug vorn in der Gaststube auf. Áslaug ist um die vierzig, Frau eines Bootsbauers, und arbeitet schon den dritten Sommer bei Geirþrúður. Sie verträgt das Salzwasser und die Arbeitsbedingungen bei den Fischschuppen nicht gut, außerdem stillt sie noch einen neun Monate alten Säugling, den ihr ihre zwei Töchter, sechs und acht Jahre alt, zweimal täglich zum Anlegen bringen, meist mit trotzig verschlossenen Gesichtern, wenn sie wieder einmal von lästernden Jungen bis zum Haus verfolgt wurden, die ihnen nachrufen, wie es denn sei, eine Kuh zur Mutter zu haben.
    Áslaug bringt die Mädchen in die Küche und stillt den Kleinen, während die Töchter Helgas Kandis lutschen und der süße Geschmack allmählich ihre Mienen erweicht. Wenn gerade wenig zu tun ist, setzen sich sogar alle Frauen an den Küchentisch, Helga, Andrea, Geirþrúður und Ólafía, und sehen zu, wie der Kleine die Milch aus seiner Mutter saugt, und jede hängt dabei schweigend ihren Gedanken nach.
    Als der Junge mit Bjarni hereinkommt, hält sich Áslaug glücklicherweise gerade nicht in der Küche auf, sondern ist vorn in der Gastwirtschaft und bedient dort zusammen mit Ólafía die Gäste. Andrea hat die Eier gewaschen, und es geht ihr nicht besonders gut. Pétur war am Vorabend bei ihr.
    Zum ersten Mal kam er vor einer Woche. Leise betrat er die nahezu voll besetzte Gaststube, fand noch einen freien Stuhl in einer Ecke, schlich hin, setzte sich, legte die Hände in den Schoß und beobachtete Andrea oder guckte vor sich auf den Boden und vermisste das Meer. Dort gibt es nämlich die Freiheit, von den Belastungen aufzublicken und nur das endlose, bleischwere Meer zu sehen; dabei rücken sämtliche Probleme in weite Ferne, und alles wird klein.
    Andrea entdeckte ihn nicht gleich, sie musste sich um vieles kümmern, Kaffee, Bier, Schnaps, Brot, Suppe, sie hatte alle Hände voll zu tun, konzentrierte sich, hörte zu, lächelte manchmal. Pétur beobachtete sie und dachte da nicht länger ans Meer, er sah sie an, und etwas in ihm erzitterte und machte ihn weich, obwohl er seine harte, ernste Miene beibehielt und sich nicht regte. Genau so soll man sich auch verhalten, sich bloß nichts anmerken lassen. Aber warum lächelt sie in seiner Gegenwart nie so? Früher hat sie das getan, oft sogar, dann hat sie wieder so gelächelt, als Bárður und der Junge bei ihnen in der Hütte waren, später aber nicht mehr. Warum nicht? Péturs Fäuste öffneten und schlossen sich in seinem Schoß. Unter den Gästen kannte er drei Matrosen, tat aber so, als würde er sie nicht bemerken. Sie ihrerseits warfen ihm Blicke zu, ein-, zwei-, dreimal, machten halblaute Bemerkungen, wagten es aber nicht, diesen harten und erfolgreichen Vormann zuerst zu grüßen. Pétur schüttelte leicht den Kopf, vielleicht um das Gefühl von Taubheit loszuwerden, das das Stimmengewirr in ihm hervorrief. Das meiste war ausländisch, vollkommen unverständlich, aber wie kann man überhaupt einen anderen Menschen verstehen, selbst wenn er die gleiche Sprache spricht wie man selbst? Man kann den Fisch verstehen, wenn man ihn aus dem Wasser zieht, es ist möglich, die Schafe zu verstehen, im Stall genauso wie draußen auf der Weide, sogar das Meer lässt sich verstehen, aber wer versteht den Menschen, wenn er im einen Moment ein Fisch ist und im nächsten ein Schmetterling? Pétur schaute auf seine rauen und groben Hände, blickte auf und sah Andrea

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