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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Freude, die aus seinem Gesicht leuchtete, wie sehr er sie auch zu dämpfen suchte. Er denkt an Svandís’ Wehrlosigkeit und geht gebeugter als irgendein Bauer von Strandir, ist völlig in seine Gedanken versunken, läuft fast am Haus vorbei und begegnet einem Eierbauern, ohne es zu registrieren, er spürt die Anwesenheit eines Menschen, mehr ist es nicht. An der Hausecke kommt er zu sich, schaut sich um und erblickt einen Bauern, der unter einer schwer mit Eiern beladenen Trage dahinwankt. Dieser Bauer ist allein, und er ruft auch nichts aus, schweigend geht er und stiert vor sich hin. Der Junge kennt diese Rückenansicht, er braucht allerdings einen Moment, bis es ihm aufgeht, so überrascht ist er, diesen Mann hier im Ort zu sehen, als wäre es ein Mensch aus einem anderen Leben, es ist nämlich Bjarni von Nes – weit, weit weg von seiner Bucht, dem Eismeer, seinen vier Kindern, der Hündin, die nach einem Mann benannt ist, einem Minister für isländische Angelegenheiten, weit weg auch von seiner todkranken Mutter, die aber nicht sterben zu können scheint.
    Bjarni, sagt der Junge halblaut und zögernd, doch der Bauer taumelt weiter, bleibt erst stehen, als sein Name zum dritten Mal fällt, richtiggehend gerufen wird, da hält er an, guckt weiter abwesend wie in Gedanken, stellt die schwere Trage zu Boden und dreht sich langsam um.
    Eine ganze Welt ist untergegangen, seit sie sich das letzte Mal sahen, seit sie auf einer Bergkante über einen Sarg gebeugt voneinander Abschied nahmen, zur einen Seite das Eismeer, zur anderen die Einöde und um alles herum ein dunkelnder Horizont. Der Junge muss so plötzlich an Hjalti denken, dass er um ein Haar am hellen Tag mitten auf der Straße kehrtgemacht hätte. Es liegen noch etliche Meter zwischen ihnen; der Junge macht ein paar Schritte auf Bjarni zu, überbrückt aber nicht den vollen Abstand, sondern erweist Bjarni und sich selbst den Respekt, nicht zu distanzlos zu sein, sondern drei bis vier Meter Abstand zu halten. Es steht diese Sonne am Himmel, unendlich heller Juni, der Geruch von Salzfisch liegt in der Luft, die Geräusche arbeitender Menschen dringen herüber, Frauen beim Fischeausnehmen, Männer beim Entladen.
    Du bringst Eier, sagt der Junge schließlich, denn es ist dem Menschen eigen, das Offensichtliche anzusprechen, weil er sich nicht traut, nach dem Wichtigsten zu fragen. Trauerst du? Leben die Kinder? Vermisst du Ásta sehr?
    Ja, antwortet Bjarni, auf alles.
    Hjalti ist wohl nicht zurückgekommen?, erkundigt sich der Junge und fragt nicht mehr nach Offenkundigem, das sowieso nichts bringt.
    Nein, sagt Bjarni.
    Und man hat nichts mehr von ihm gehört?
    Nein.
    Wir haben ihn einfach verloren.
    Bjarni sagt nichts und guckt in die Luft.
    Der Junge wagt es, weiter zu berichten. Jens hat immer wieder in sein Horn gestoßen, wir haben gerufen, aber es hat nichts genützt, wir konnten uns kaum selbst hören und auch kaum selbst sehen. Deine Frau, Ásta …
    Ich weiß, sagt Bjarni, und dem Jungen fällt ein Stein vom Herzen, obwohl er gar nicht weiß, was Bjarni meint und was er weiß. Ásta hat doch einen Weg aus dem Sarg gefunden und stand dann über ihm wie ein Wegweiser, sie war ein Wegweiser. Dass sie auch den Weg in seinen Kopf gefunden hat und darin kaltblütig, bedrohlich, grob, brutal und weinend aufgetreten ist, weiß Bjarni das auch alles? Nein, wohl kaum, aber es kommt vor, dass man Bescheid weiß, ohne zu wissen, was vorgefallen ist. Das Leben ist nicht unbegreiflich, sondern unerklärlich.
    Wie … wie geht es den Kindern?
    Sie sind zu Hause.
    So, zu Hause, das ist doch schön. Wohin gehst du mit den Eiern?
    Zu Leó.
    Du bist spät dran.
    Sicher.
    Bekommst deshalb weniger.
    Sicher.
    Musst du noch oft mit der Trage hin und her laufen?
    Viermal, wahrscheinlich.
    Hier wohne ich, sagt der Junge und zeigt mit dem Daumen auf das große Haus.
    Bjarni wirft schnell einen Blick auf das Haus, senkt ihn dann wieder auf die Eier.
    Möchtest du nicht einen Kaffee haben?, fragt der Junge hastig, er möchte Bjarni nicht gehen lassen, auf keinen Fall.
    Kaffee, sagt Bjarni verblüfft. Wieso?
    Ich weiß nicht, gibt der Junge zu, aber du hast mir auch Kaffee gegeben.
    Das war doch nicht der Rede wert.
    Vielleicht möchte dir Helga ein paar Eier abkaufen, legt der Junge nach, froh, dass ihm das eingefallen ist. Sie bezahlt mehr als die Leute bei Leó, und auch in barem Geld.
    Ist es weit bis zu dieser Helga und dem Kaffee?
    Wir stehen ja schon vor dem Haus, wie

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