Das Herz des Ritters
noch?«
»Ach«, schnaubte sein Begleiter, ein großer Schotte aus den Highlands seiner rauen Heimat. »Ich hätte mir ja denken können, dass ich mich bei dir nicht zu beklagen brauche, mein Freund. Du und Löwenherz, ihr scheint zu vergessen, dass wir normalen Sterblichen solche Dinge wie Essen und Schlaf benötigen, um uns für die Schlacht am nächsten Tag zu rüsten.«
Sebastian lachte. »Dabei hast du all die vergangenen Monate mir gegenüber immer behauptet, schottisches Blut sei dicker und widerstandsfähiger als englisches. Ich frage mich, was deine holde Braut wohl dazu sagen würde, wenn sie hören könnte, wie du über ein paar Stunden verlorenen Schlaf jammerst.«
»Ja, meine süße Mary«, sagte der Schotte und seufzte tief. »Zweifellos würde sie mich hübsch anfunkeln und schimpfen: ›James Malcolm Logan, ich habe dir ja gleich gesagt, du bist verrückt, wenn du mich verlässt, um an diesem verfluchten Ort dem Ruhm hinterherzujagen. Jetzt setz deinen Hintern endlich in Bewegung, du Narr, und komm nach Hause, wo du hingehörst, bevor ich …‹«
Eine Bewegung in der Dunkelheit ließ Sebastian abrupt stehenbleiben. Mit erhobener Hand brachte er seinen Freund zum Schweigen. »Dort«, flüsterte er, als auch Logan innehielt. »Hinter dieser Zeltreihe hat sich etwas bewegt.«
Die mondlose Nacht gab kaum mehr zu erkennen als die vagen Umrisse der Soldatenzelte und die düstere, hohe Erhebung von Askalons zerfallener Stadtmauer.
Logan spähte angestrengt in die Finsternis und schüttelte den Kopf. »Ich sehe nichts.«
»Doch, ich bin mir sicher«, beharrte Sebastian. Das Prickeln in seinem Nacken verriet ihm, dass er sich nicht täuschte. »Irgendetwas – irgendjemand – ist da.«
Plötzlich tauchte in einiger Entfernung vor ihnen eine schlanke Gestalt wie aus dem Nichts auf. Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, schlich sie gebückt und in eindeutiger Absicht auf die Mitte des Lagers zu. Sebastian musste nicht erst sehen, dass ein gebogener Dolch wie eine stählerne, tödliche Kralle aus der Faust des Eindringlings herausstach, um zu wissen, was er war …
Ein Assassine.
»Beim Blute Christi!« Sebastian zückte sein Schwert und rannte los. »Der König, Logan! Lauf zum König!«
Während der Schotte auf Richards Pavillon zulief, stürmte Sebastian dem syrischen Todbringer nach. Alarmiert durch seinen Warnruf, stürzten nun auch andere Soldaten mit gezogenen Waffen aus ihren Zelten.
Aufgeschreckt durch den Lärm, blieb der Assassine unvermittelt stehen, wie um das Risiko einer Gefangennahme abzuwägen. Durch sein Zögern vergeudete er kostbare Zeit. Sebastian schnitt ihm den Weg ab und war ihm dicht auf den Fersen, als der verhinderte Meuchelmörder sich umwandte und auf das offene Stadttor zurannte. Wenn er das Labyrinth von Askalons Straßen und Gassen erreichte, würde er ihn niemals wiederfinden, das wusste Sebastian.
Der Assassine war von zierlicher Gestalt, aber schnell. Wenigstens zweimal kam Sebastian ihm nahe genug, um ihn mit dem Schwert niederstrecken zu können, doch der wendige kleine Teufel duckte sich jedes Mal weg und schlug Haken wie ein Hase, der vor einem Hund flüchtet. Fast schon hatte er das bogenförmige Stadttor von Askalon erreicht, das ihm die Freiheit bringen würde, da geriet er plötzlich auf dem Geröll vor der Stadtmauer ins Straucheln. Sebastian hechtete nach vorn und bekam den rudernden Arm des Assassinen zu fassen.
»Ah … nein!«, schrie der Fida’i. Seine dünne Stimme klang ungewöhnlich schrill.
Hatte man tatsächlich einen Grünschnabel aus den Bergen geschickt, um einen König zu töten? Die Vorstellung erschien Sebastian lächerlich, aber ihm blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln.
Ohne Vorwarnung wirbelte der Assassine herum und schlug ihm mit einer unfassbar schnellen Bewegung in die Seite. Der Hieb war zwar nicht der stärkste, den Sebastian je hatte einstecken müssen, dennoch war er heftig genug, um ihm alle Luft aus den Lungen zu pressen. Nach Atem ringend, lockerte er seinen Griff. Der Assassine riss sich los und rannte davon. Sebastian setzte ihm nach, doch bald schon stellte er fest, dass er nicht mit ihm Schritt halten konnte. Sein Gang wurde schleppend, sein Schwert zu einer solch schweren Last, dass er es kaum noch halten konnte. Schwerfällig schlurfte er durch den Sand, während der Fida’i durch das Stadttor schlüpfte und in der Dunkelheit verschwand.
Hinter sich hörte Sebastian das Rasseln von Waffen und die
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