Das Herz des Ritters
Sebastian Hilfe suchend über den hauchzarten Schleier hinweg an. Sie versuchte, sich zu befreien, doch der Assassine presste sie nur noch fester an sich. Die Klinge seines Dolches drückte sich in die Seide über ihrer Kehle.
»
Saadni
«, rief sie, den verzweifelten, flehenden Blick fest auf Sebastian gerichtet. »Helft mir, bitte!«
»Lass sie los, verflucht!«, rief Sebastian.
Die Frau wie einen Schild vor sich haltend, bewegte sich der Fida’i seitlich zur Straße der Gewürzhändler hin, entfernte sich langsam von Sebastian und Logan und strebte der Freiheit entgegen. Die Mündung zu der Gasse war nur noch wenige Schritte entfernt, die Flucht schien ihm sicher. Höhnisch grinsend, forderte er Sebastian förmlich heraus, eine unbedachte Bewegung zu machen.
Logan stieß einen zischenden Fluch aus. »Wir können nicht an ihn ran, solange der Bastard sich hinter ihr versteckt.«
»Überleg dir gut, was du tust, du Feigling«, rief Sebastian grimmig auf Arabisch. Zwar wollte er nicht, dass eine Unschuldige zu Schaden kam, doch er würde sich auch nicht so leicht geschlagen geben. »Du bist ein toter Mann, egal was du tust. Lass die Frau los, und du bleibst unversehrt. Krümme ihr auch nur ein Haar, und ich schwöre dir, du wirst einen langsamen, qualvollen Tod erleiden. Du hast die Wahl.«
»Ich überlasse Allah die Entscheidung«, antwortete der Assassine mit tiefer, rauer Stimme, während er die letzten Schritte zurücklegte, die ihn noch von dem Bogendurchgang zur anderen Gasse trennten.
»Bitte«, sagte die junge Frau in Sebastians Muttersprache. Dieses eine Wort zwang ihn förmlich, ihren Blick zu suchen, obwohl er wusste, dass es ein Fehler war, seinen Widersacher aus den Augen zu lassen. »Lasst nicht zu, dass er mich verletzt. Bitte, helft mir …«
Sie sog scharf den Atem ein, als der Mann den Dolch nach unten gleiten ließ und unbarmherzig unter ihre Brust drückte. Sie rückwärts mit sich ziehend, verschwand der Assassine weiter in den Schatten der Gasse. Sosehr er sich auch bemühte, Sebastian konnte den Blick nicht von der Frau lösen. Sie war aufsehenerregend – eine olivenhäutige Schönheit mit üppigem rabenschwarzem Haar, das bis auf wenige glänzende Locken, wie bei allen respektablen Sarazeninnen, von einem züchtigen Schleier verdeckt war. Von ihrer Nase und ihrem Mund konnte er durch die Seide nur die Umrisse erkennen, doch das, was er sah, schien wohlgeformt und apart.
Und diese Augen … Solche Augen hatte Sebastian noch nie zuvor gesehen. Sie waren schillernd grau wie Quecksilber. Atemberaubend. Sie fesselten ihn, und einen Moment lang nahm er nichts anderes mehr wahr.
Der Assassine nutzte die Gelegenheit, die sich ihm so plötzlich bot, und stieß die Frau kräftig von sich. Aufschreiend stürzte sie nach vorn. Unwillkürlich tat Sebastian einen Satz zu ihr und konnte ihren Sturz gerade noch auffangen, bevor sie hart auf das Pflaster prallen konnte. Als er einen Herzschlag später aufsah, hatte der Assassine die Straße schon halb hinter sich gebracht.
»Kümmere dich um sie«, rief er Logan zu, trat um die zitternde junge Frau herum und nahm entschlossen die Verfolgung auf.
Von Wut und Ungeduld angetrieben, lief Sebastian so schnell wie der Teufel. Der gerissene Assassine war ungleich langsamer. Kaum waren sie um die Ecke gebogen, da hatte Sebastian ihn schon fast eingeholt. Er streckte die Hand aus und bekam ihn an der Tunika zu fassen. Mit einem Ruck warf er ihn auf die staubige Straße und zögerte nicht einen Augenblick, seine Drohung wahrzumachen. Ein schneller Hieb seines Schwertes, und der Mann war des Todes. Mit vor Überraschung weit aufgerissenen Augen umfasste der Mann die Klinge in seiner Brust, zuckte noch einmal kurz und verharrte schließlich reglos.
Nachdem Sebastian sein Schwert gesäubert und in die Scheide zurückgesteckt hatte, kehrte er zu Logan zurück, der seinen starken Arm stützend um die junge Frau gelegt hatte.
»Du hast ihn erwischt«, stellte der Schotte ohne den leisesten Zweifel in der Stimme fest. Vermutlich hatte er es in Sebastians Blick gelesen. »War es derselbe Bastard, der vor ein paar Wochen den König umbringen wollte?«
Sebastian schüttelte nachdenklich den Kopf, als er sich die Ereignisse jener Nacht in Erinnerung rief. Der Fida’i damals war von zierlicher Statur und noch sehr jung gewesen. Ein Knabe, dem Schrei nach zu urteilen, den er ausgestoßen hatte, als Sebastian ihn packte. Der Mann von eben war älter und
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