Das Herz des Südens
spüren, Emmeline?«
Sie antwortete mit einem gurgelnden Laut, der wohl ein Ja bedeuten sollte.
Zu Josie gewandt, fragte er: »Hat sie etwas gegessen?«
»Nein, bisher noch nicht. Sie hat nur ein bisschen Tee getrunken«, antwortete Josie.
»Ich werde sie jetzt zur Ader lassen, und später werden wir sehen, ob sie vielleicht ein wenig Brühe zu sich nimmt.«
Cleo hielt die Schüssel bereit, damit er die Vene öffnen konnte. Nach einem schnellen Wischen an seinem Hosenbein entlang, um die Klinge zu säubern, ritzte Dr. Benet die blau schimmernde Vene an der Innenseite des Ellbogens an.
Während das Blut in die Schüssel lief, hielt sich Josie an der Wand fest. Der metallische Blutgeruch, die Erinnerung an den dunkelroten See aus Blut unter dem Körper ihrer Mutter, als sie gestorben war – all das drängte sich plötzlich in ihr Bewusstsein, und sie hatte das Gefühl, als würde ihr schlecht.
»Josephine, Kind, geh doch ins andere Zimmer«, sagte Dr. Benet. »Ich komme zu dir, sobald ich hier fertig bin.« Er überprüfte auch Cleos Gesichtsfarbe, aber sie war konzentriert auf ihre Arbeit und hielt ein kühles Tuch bereit. Die geborene Krankenschwester, dachte er.
Er gab Cleo ein Beruhigungsmittel, das sie Madame mit dem Löffel einflößen konnte, und ließ seine Patientin zuversichtlich zurück. Er wusste, sie war in guten Händen.
Im Salon traf er Josie, die sich Luft zufächelte. Sie war immer noch blass, und auf ihrer Oberlippe standen Schweißperlen. Die Todesfälle des letzten Sommers hatten sie hart getroffen, und nun kam der nächste schwere Schlag. Die Sorgen des Erwachsenenalters würden Josephine Tassin nicht länger verschonen.
»Deine Großmutter hatte einen Schlaganfall. Und wie du schon selbst bemerkt hast, ist ihre linke Seite gelähmt.«
»Aber sie wird doch wieder gesund?«
Dr. Benet ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. »Josephine – manche Patienten erholen sich erstaunlich gut von einem Schlaganfall. Das Gehirn hat enorme Selbstheilungskräfte, sodass die Lähmung sich oft wieder zurückbildet. Es gibt aber auch Patienten, bei denen sich nicht mehr viel bessert. Wir werden wohl einfach abwarten müssen.«
»Die Wirtschaftskrise ist schuld«, sagte Josie. »Sie hat sich so sehr darüber aufgeregt!«
»Zweifellos hat der Schock ihr sehr zugesetzt. Aber Emmeline ist eine starke Frau; sie hat einen ehernen Willen und einen starken Geist. Ich denke, wir können auf eine Besserung hoffen.«
Aus dem Speisezimmer drang das Geklapper von Geschirr und Besteck zu ihnen herüber. »Oh, ich rieche Mittagessen«, sagte der Arzt.
»Sie müssen schrecklich müde sein, Dr. Benet. Wenn Sie gegessen haben, sollten Sie sich hinlegen. Ich hoffe doch, Sie bleiben ein paar Tage bei uns.«
»Auf jeden Fall bis morgen; dann sehen wir weiter, Josephine.«
Nach dem Essen schaute Dr. Benet noch einmal nach seiner Patientin, die ruhig schlief, und zog sich dann ins Gästezimmer zurück, um ein Nickerchen zu halten. Josie brachte einen Schaukelstuhl in Grand-mères Schlafzimmer, um bei ihr Wache zu halten, während Cleo im Speisezimmer arbeitete. Das Geklapper von Tellern und Gläsern wurde schwächer, und bald war Josie eingeschlafen.
Sie wurde wach, als Laurie sie am Ärmel zupfte. »Aufwachen, Mademoiselle«, flüsterte sie. »Mademoiselle, Sie müssen aufwachen.«
Josie setzte sich aufrecht hin. »Was ist?«
»Cleo sagt, Monsieur LeBrec ist an der Tür. Sie fragt, ob sie ihn reinlassen soll.«
»In den Salon«, antwortete Josie.
Der Aufseher stand in der Mitte des Salons, die groben Arbeitsstiefel ungeschickt auf die gewebten Teppiche gestellt, die den Holzboden im Sommer bedeckten. Er hielt den Hut in der Hand und sah zwischen den feinen Möbeln des Salons ausgesprochen fehl am Platze aus.
»Monsieur LeBrec«, grüßte Josie.
»Ich habe von Madame Tassin gehört. Wie geht es ihr?«
»Nicht gut, danke der Nachfrage. Aber wir hoffen, sie wird sich bald wieder erholen.«
»Ja, wissen Sie, es ist bloß wegen der Bauarbeiten. Die neue Raffinerie für den Zucker, wissen Sie. Wir brauchen mehr Bauholz.«
Der Mann drehte den Hut zwischen seinen Händen, und Josie wartete. Was wollte er von ihr wegen des Bauholzes? Die Wälder waren doch voller Bäume, konnte er nicht einfach ein paar Männer zusammentrommeln und welche fällen?
»Madame hat gesagt, wir sollen zwei Hektar fällen, aber von mehr hat sie nichts gesagt. Vielleicht wollte sie lieber woanders Holz kaufen und ihre eigenen Bäume
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