Das Herz des Südens
zugutehalten. Offenbar kam er auch mit seiner Frau gut zurecht, denn sie sorgte dafür, dass sein Jackett stets sauber gebürstet war und jeden Morgen ein frisches Hemd bereitlag. Aber so sehr er Madame LeBrec auch zufriedenstellen mochte, Josie fand seine Arroganz ebenso unbegründet wie störend. Schon oft hatte sie bemerkt, dass der Stolz eines Mannes umgekehrt proportional zu seinem Selbstbewusstsein war, und so empfand sie sein Auftreten als schlicht und einfach lächerlich.
Außerdem schien der Friede auf Toulouse unter seiner Leitung zerbrochen zu sein. Solange Mr Gale Aufseher gewesen war, hatte es äußerst selten Auspeitschungen gegeben. Nun hörte sie immer wieder von Cleo, das irgendjemand die Peitsche zu spüren bekommen hatte. Und jeden Tag wurde irgendjemand in den Block gelegt – Kopf, Hände und Füße.
Es wurde Zeit, dass sie aufwachte. Sie musste die Kontrolle über Toulouse übernehmen.
Als Erstes sorgte sie dafür, dass der Block zerstört wurde. LeBrec hatte sie verhöhnt, sie würde die Faulpelze noch ermutigen, aber Josie wusste, bevor er gekommen war, hatte es auf dieser Plantage keine Faulpelze gegeben. Sie verbot ihm jegliche Auspeitschungen auf eigene Faust. Er musste Bestrafungen zuerst mit ihr besprechen, und stets fand sie weniger drastische, vor allem weniger schmerzhafte Strafen für die Sklaven, die sich ihm widersetzt hatten. Vor allem kümmerte sie sich um die jungen Mädchen und Frauen, die vermutlich nur vor seinen Annäherungsversuchen davongelaufen waren.
Und so wurde sie allmählich tatsächlich zur jungen Herrin auf Toulouse – um ihrer Leute willen.
Nun verabschiedete sie ihn aus dem Salon und ging ins Zimmer ihrer Großmutter, um nach dem Buch mit den Heilmitteln zu suchen. Vor langer Zeit hatte Grand-mère jeden Tee und jede Salbe auswendig gelernt, die in diesem Buch aufgezeichnet waren, und sie hatte sogar eigene Heilmittel zusammengebraut und -gerührt. In diesem Buch würde Josie ein Heilmittel gegen das Fieber in den Unterkünften finden, und sie würde es den Kindern selbst verabreichen, wie es ihre Großmutter immer getan hatte.
Josie nahm das Medizinbuch mit auf die Veranda, wo Laurie saß und Grand-mère Luft zufächelte. Sie putzte ihre Brille mit ihrem Rock und sagte Grand-mère, wonach sie suchte. Die Kinder hatten Fieber und Ohrenschmerzen, sagte sie. Kein Hautausschlag, kein Schnupfen.
Grand-mère bedeutete Josie, sie solle das Buch auf den Tisch neben ihr legen. Ihre gesunde Hand war zwar nicht gelähmt, zitterte aber so sehr, dass sie keine Feder und keine Teetasse halten konnte. Doch sie konnte immerhin in dem Buch blättern, bis sie die richtige Seite gefunden hatte. Sie war fleckig von den Spuren der Medikamente, die sie in den vergangenen Jahren gebraut hatte, und am Rand waren einige Notizen in ihrer Handschrift zu sehen.
»Weidenrindentee gegen das Fieber«, las Josie laut. »Süßes Öl, ein wenig angewärmt, gegen die Ohrenschmerzen.« Neben dem Rezept hatte Grand-mère notiert, wo sie die Kräuter und die Weidenrinde gesammelt hatte. »Nimmst du Olivenöl?«, fragte Josie. Grand-mère nickte.
Josie blätterte die verschlissenen Seiten durch. »Kennst du alle diese Medikamente, Grand-mère?«
Das gesunde Auge der alten Dame funkelte. Sie ließ einen langen Wortschwall hören und zeigte mit einem Finger auf Josie.
»Sie sagt, das ist die Verantwortung der Herrin auf einer Plantage«, übersetzte Cleo. Sie war leise zu den beiden getreten, einen Krug mit kaltem Wasser in der Hand. »Und sie sagt, du bist jetzt die Herrin.«
Ja, ich weiß. Josie blickte auf das tränende linke Auge ihrer Großmutter, auf den verzogenen Mund, die Schärpe, die sie im Rollstuhl aufrecht hielt. Josie musste sich um die Plantage kümmern. Sie würde die kommende Saison nicht in New Orleans verbringen und auf irgendwelchen Festen tanzen. Sie würde nicht heiraten. Sie würde Toulouse leiten, denn es gab niemanden außer ihr, der diese Arbeit tun konnte.
Josie legte ein Lesezeichen in das Buch und stand nachdrücklich auf. »Dann werde ich jetzt nach diesen Kindern sehen.«
In den Nächten, lange nachdem alle anderen im Haus schlafen gegangen waren, lag Josie wach und erlaubte sich Gefühle, versuchte herauszufinden, was mit ihr geschehen war. Hätte Bertrand keine andere Möglichkeit finden können, Cherleu zu retten, wenn er sie wirklich liebte? Warum hatte er sie so leichten Herzens verlassen?
Sie überblickte jeden einzelnen Betrug, den sie erlebt hatte,
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