Das Herz des Südens
war noch frisch, und doch konnte er nichts tun, als neben Cleo sitzen, den Arm um ihre Schultern gelegt. Als der Schock ein wenig nachließ, drückte sie das Gesicht an seine Brust und weinte wie ein Kind.
Phanor hielt sie fest an sich gedrückt und fragte sich, wie sie ihre Trauer vor Madame und Mademoiselle würde verbergen können. Sie hatten keine Ahnung, dass sie wusste, wo Remy war, und noch weniger ahnten sie, dass er seine Hände mit im Spiel hatte. Sie würden wissen wollen, was ihr fehlte, was Phanor ihr mitgeteilt hatte.
Er reichte ihr sein Taschentuch. »Cleo«, sagte er, »sie dürfen dich so nicht sehen.«
Cleo wischte sich das Gesicht mit dem Taschentuch ab und schüttelte den Kopf. »Das macht nichts«, sagte sie. »Madame Emmeline hat einen Schlaganfall gehabt; im Haus bemerkt sowieso keiner, wie es mir geht.«
Phanor blickte zum Haus hinüber, stellte sich vor, wie Madame Emmeline dort im Bett lag. Sie war immer gut zu ihm gewesen. Sein Blick fiel auf Josie, die auf der Veranda stand und sie beobachtete. Auf der Reise flussaufwärts hatte er sich gefragt, ob er sie überhaupt zu Gesicht bekommen würde. Sie war so kalt, so abweisend gewesen, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte keine Gelegenheit gehabt, eine Entschuldigung zu versuchen, ihr zu erklären, was dort in der Küche mit Marguerite geschehen war. Und was hätte er auch sagen sollen? Er hatte ihre Tante geküsst, leidenschaftlich geküsst. Selbst jetzt konnte er sich noch an ihr Parfum erinnern.
Aber auch wenn Josie ihn nicht sehen wollte, er würde zum Haus gehen, um sich nach Madame Tassins Befinden zu erkundigen. Er verdankte ihr viel, und vielleicht konnte er irgendetwas für sie tun. Doch zunächst brachte er Cleo zum Küchenhaus, wo all ihre Trauer noch einmal aus ihr herausbrach, als er Louella erzählte, dass Remy ermordet worden war. Louella gab ihr ein Glas Tafia , den harten Schnaps, den sie selbst herstellte.
»Gehen Sie ruhig, Monsieur, ich gebe ihr hiervon, bis sie einschläft.«
Phanor stieg die hintere Verandatreppe hinauf und klopfte an die Tür zum Speisezimmer. Josie ließ ihn selbst herein.
»Was ist mit Cleo?«, fragte sie, bevor sie ihn auch nur begrüßt hatte.
»Remy ist tot.«
Josie schien für einen Augenblick überhaupt nicht zu verstehen, wovon er sprach. Dann begriff sie plötzlich. »Aber Remy ist schon vor Monaten weggelaufen. Woher weiß sie, dass er tot ist?«
Phanor wartete einen Augenblick, bis sie es von selbst verstand. Er hatte ein Verbrechen begangen, als er Remy bei der Flucht geholfen hatte, und er hatte dieses Verbrechen weitergeführt, indem er monatelang dafür gesorgt hatte, dass sein Aufenthaltsort geheim blieb.
»Du hast die ganze Zeit gewusst, wo er war?«, fragte Josie.
»Ja.«
Josie richtete sich auf. »Aber du hast doch gewusst, dass er weggelaufen war!«
»Josie …«
»Du hast gewusst, dass er meiner Großmutter gehörte. Und das, wo sie dir immer geholfen hat. Wie konntest du das nur tun?«
»Josie, du verstehst das nicht, du warst in New Orleans, du hast nicht gesehen, wie er gelitten hat.«
»Gelitten? Doch nicht mehr als jeder andere Feldarbeiter und …« Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Sie war in New Orleans gewesen und hatte nicht gewusst, was auf Toulouse vor sich ging, und Grand-mère war nicht ganz bei sich gewesen.
Phanor fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich zeig’s dir«, sagte er mit flehendem Ton.
Dann ging er hinüber zu dem kleinen Schreibtisch aus Rosenholz und nahm sich ein Stück Papier. Mit schnellen Strichen zeichnete er den Käfig, den der Aufseher gebaut und Remy aufgezwungen hatte.
»Diese Glöckchen haben geläutet, Tag und Nacht, bei jeder Bewegung. Erinnerst du dich, dass ich dir in New Orleans davon erzählt habe? Wenn er sich im Bett umdrehte, wenn er tief durchatmete, haben sie geläutet. Und das Ding war schwer, Josie. Es war aus Eisen. Und er musste damit arbeiten wie alle anderen, musste versuchen, das Gleichgewicht zu halten, dieses Gewicht zu tragen, und trotzdem seine Feldarbeit verrichten.«
»So etwas haben wir hier niemals einem Sklaven angetan«, sagte Josie. Sie starrte auf die Zeichnung, und ihre Schultern sackten nach vorn.
Phanor senkte die Stimme. Er war sicher, die Grausamkeit berührte auch sie. »Euer Monsieur LeBrec hat sich das ausgedacht. Aber vorher hat er Remy noch ein halbes Ohr abgeschnitten.«
»Mein Gott«, flüsterte sie, senkte den Kopf und ließ den Tränen freien Lauf. Phanor
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