Das Herz des Südens
ohne ihn sein.
Allerdings fiel es ihr leichter, ihn mit Josie zu teilen, weil sie wusste, Josie liebte ihn ebenfalls. Wer sonst hätte immer wieder zugehört, wenn Cleo den Augenblick beschrieb, als Gabriel seinen Daumen entdeckt hatte, als er zum ersten Mal seine Rassel schüttelte, als er zum ersten Mal den Kopf drehte, um der Spottdrossel draußen vor dem Fenster zuzuhören? Und Josie berichtete genauso begeistert, wenn sie ihn für ein Stündchen bei sich gehabt hatte, welche Wundertaten Gabriel wieder vollbracht hatte.
Cleo hatte das Gefühl, sie hatte endlich wieder eine Freundin, eine Schwester. Sie und Josie sprachen jetzt öfter über Grand-mère als früher, von der Plantage, dem Garten und davon, was für ein großer, schöner Mann Gabriel werden würde.
Josie verbrachte den Großteil ihrer Tage damit, sich mit dem alten Sam zu beraten, was die Arbeitsverteilung anging. Sie führte die Bücher und beobachtete eindringlich das Wetter. Cleo begann, sich für die Krankenversorgung unter den Sklaven zu interessieren. Sie studierte eifrig das Medizinbuch und entlastete Josie, wenn es notwendig war, nach Kranken in den Unterkünften zu sehen. Alle Kälte, alle Distanz zwischen ihnen schien verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
Als die Hitze im September am drückendsten war, versuchte jeder, sich möglichst wenig zu bewegen. Auf den Feldern wurde immer noch daran gearbeitet, das Unkraut niederzuhalten, aber im Haus ließ man alle Fenster offen, um dem Wind vom Fluss ein wenig Durchzug zu ermöglichen.
Josie hatte den Tag zu Pferde verbracht, hatte sich die Felder angesehen und die Fortschritte aller Arbeitsmannschaften überprüft, die in der heißen Sonne draußen arbeiten mussten. In zehn Tagen war wieder eine Rechnung fällig, und sie hatte die Summe noch nicht ganz beisammen. Am Nachmittag taten ihr die Augen weh, weil sie die ganze Zeit in das grelle Licht geblickt hatte. Und sie bekam solche Kopfschmerzen, dass sie sich ins Haus zurückzog.
»Komm auf die vordere Veranda, da geht ein leichter Wind«, schlug Cleo ihr vor. »Ich habe einen Krug Wasser hier, das hast du jetzt nötig.«
Nein, dachte Josie, was ich nötig habe ist Geld. Geld, damit ich Monsieur Moncrieff bezahlen kann. Aber sie behielt ihre Sorgen für sich. Die ganze Last der Plantage lag jetzt auf ihren Schultern, und sie wurde sie keinen Augenblick lang los, ob sie nun mit Gabriel spielte oder in der kühlen Abendluft auf ihrem Pferd ausritt – was auch immer sie tat, die Sorgen blieben. Sie fand wenig Gelegenheit, zu lächeln oder sich zu entspannen. Und wenn es doch einmal so war, dann war meistens Gabriel im Spiel.
Auf der schattigen Veranda lag Gabriel auf dem Rücken und beobachtete, wie sich seine Beine und Arme bewegten. Josie hob ihn hoch und zog ihm das Musselinkleidchen über den Kopf, bevor sie ihn sich auf den Schoß legte. Dann tauchte sie ihr Taschentuch in das Wasser und rieb ihm die Brust ab, um ihm etwas Kühlung zu verschaffen. Cleo saß neben ihr und nähte an einem neuen Kleidchen für ihn. Sie hatte den Rock bis über die Knie hochgezogen, um es etwas kühler zu haben.
Josie küsste Gabriel und drehte ihn um. Dann rieb sie ihm vorsichtig den Rücken und die Schultern ab, bevor sie die dicke Windel öffnete, um ihm auch sein kleines Hinterteil abzureiben.
»Er wird schon wieder wund von der Hitze«, sagte sie zu Cleo. Tatsächlich konnte man am unteren Ende seiner Wirbelsäule eine Stelle mit roter Haut erkennen. Josie setzte ihre Lesebrille auf, um besser sehen zu können.
Jetzt sah sie es deutlicher. Er war gar nicht wund, es war dasselbe Muttermal, das sie selbst trug. Das Muttermal, das auch ihre Mutter gehabt hatte, und Mamans Schwestern, ihre Cousinen, Neffen und Nichten. Eigentlich alle Nachkommen der Urgroßmutter Helga.
Josie warf Cleo einen Blick zu. Wie war das möglich?
»Was ist?«, fragte Cleo.
Josie zog Gabriel enger an sich. »Du …«, begann sie. Dann stand sie auf und ging rückwärts davon. Gabriel musste Bertrands Kind sein. Bertrand hatte ebenfalls dieses Muttermal, er hatte einmal davon gesprochen … »Cleo, du …«
Cleo ließ ihre Näharbeit sinken und sah Josie in die Augen. Barmherzige Mutter, jetzt wusste sie es. Cleo war nie auf die Idee gekommen, dass Josie davon erfahren könnte. Woher wusste sie es?
»Ach, Josie«, seufzte sie.
»Er ist von Bertrand, nicht wahr?« Josie zog sich bis zur Tür zurück.
»Josie, warte doch«, rief Cleo.
Aber Josie rannte fort, weg
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