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Das Herz des Südens

Das Herz des Südens

Titel: Das Herz des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Craig
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beugte sich über das Geländer, um die feuchte Linie auf den gemauerten Pfeilern unter der Veranda anzusehen. Seit dem höchsten Stand war das Wasser vielleicht sechzig Zentimeter gesunken. Aber vor allem wartete sie auf die nächsten Rettungsboote.
    Beim nächsten Boot, das sich näherte, hielt sie sich am Geländer fest und spähte angestrengt hinaus, um zu erkennen, wer darin saß. Alles Schwarze, also war Emile wieder nicht dabei. Aber vielleicht ihre Maman …
    Emmeline trat zu ihr und blickte ebenfalls dem Boot entgegen.
    »Wieder nichts, Madame«, sagte Cleo.
    Madame richtete sich auf und rief Ellbogen-John im ersten Boot zu: »Leg ein Seil um die tote Sau und zieh sie ein Stück den Fluss hinunter, sie schlägt schon seit gestern ständig gegen die Mauer.« Und wie nach jedem Boot, das ihre verzweifelten Hoffnungen enttäuscht hatte, ging sie wieder ins Haus, ohne ein Wort über ihren Sohn zu verlieren. Cleo kannte sie gut genug, um zu begreifen, dass sie über ihre Sorgen nicht sprechen würde. Eine solche Schwäche würde sich Madame nie gestatten.
    Cleo beobachtete, wie Ellbogen-John versuchte, das aufgedunsene tote Schwein festzubinden, das von der Strömung gegen das Haus gedrückt worden war. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Ellbogen-John, der nur einen brauchbaren Arm besaß, hatte sich retten können. Emile und Bibi waren beide jünger und kräftiger als der alte John, vermutlich saßen sie irgendwo auf einem Baum, und Emile hielt ihre Mutter im Arm und versprach ihr, dass es dort keine Schlangen gab. Sie hatten überhaupt keine Veranlassung, die Hoffnung aufzugeben.
    Gegen Mittag kam ein Boot von der Plantage der Cummings’. Zwei Jungen, gerade kräftig genug, um das Boot zu bewegen, brachten Lebensmittel und Wasser.
    »Alle anderen sind am Deich«, sagte der Dünnere von den beiden. Einer aus Carolina, vermutete Cleo, man konnte ihn kaum verstehen. »Wir kommen wieder, was braucht ihr noch?«
    Sie starrte seine Haut an. Er war der schwärzeste Sklave, den sie je gesehen hatte. »Kommst du aus Afrika?«, fragte sie.
    Der magere Junge grinste seinen Gefährten so breit an, dass seine Zähne hell aufstrahlten. »Diese gelben Mädels glauben immer, sie haben kein Afrika im Leib.« Der andere Junge kicherte, und dann ruderten sie weiter.
    Cleo ärgerte sich und war peinlich berührt. Diese Jungen hatten überhaupt keine Manieren, dachte sie. So hatte sie das doch nicht gemeint. Sie hatte doch bloß … Sie sah ihre eigene braune Haut an. Sie hatte eine von diesen gedankenlosen Bemerkungen gemacht, wie sie auch Monsieur manchmal herausrutschten. Selbst Josie sagte ab und zu etwas Derartiges. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen.
    Den ganzen Tag hielt Cleo weiter Ausschau. Im nächsten Boot würde sicher ihre Maman sitzen, und wenn nicht, dann im übernächsten. Immer wenn Ellbogen-John mit neuen Überlebenden kam, suchte sie im Boot nach ihrer Mutter und versuchte dann, ihre Enttäuschung zu verbergen, wenn sie den Menschen aus dem Boot auf die Veranda half und dafür sorgte, dass sie mit Essen und Wasser versorgt wurden.
    Immer noch redete sie sich ein, ihre Mutter und ihr Vater würden sich bald wieder einfinden. All diese Leute hier hatten überlebt. Sie hatten Hunger und Durst, aber sie hatten die Überschwemmung überlebt. Maman und Monsieur würden Wasser brauchen, aber sie würden überleben, auch wenn sie erst morgen gefunden würden.
    Irgendwann kamen ihr Phanor und seine Familie in den Sinn. Ihr Haus lag ein gutes Stück westlich des Flusses, fast schon in den Sümpfen, und Phanor hatte ihr erzählt, dass es auf hohen Pfählen erbaut war. Sicher ging es ihnen gut, so weit vom Deich entfernt.
    Der Tag verging, während sie Madame Emmeline dabei half, die Verletzten zu versorgen. Die Nahrungsmittel, die die Nachbarn schickten, mussten gerecht verteilt werden, und auch das Wasser wurde rationiert. Das ganze Haus war voll mit Menschen. Sie hielten sich von den guten Möbeln fern und behandelten Cleo mit dem Respekt, den ein Hausmädchen verdiente. Thibault spielte zufrieden mit seinen Cousins, und sie waren alle brav und leise.
    Endlich ging die Sonne unter, und der längste Tag, den Cleo in ihrem Leben durchgemacht hatte, ging zu Ende – und immer noch keine Nachricht von Grammy, Monsieur oder Maman.
    Beim ersten Morgenlicht konnte man erkennen, dass der Fluss wieder etwa dreißig Zentimeter gefallen war. Der Deichbruch war weniger schlimm als befürchtet, berichtete Mr Gale. Sie hatten

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