Das Herz des Südens
Er blies zart in die Flöte, und reine, wunderbare Töne glitten hinaus in die Nacht. Die anderen saßen still und lauschten, während sich ihr Pulsschlag und ihr Atem wieder beruhigten.
Als er zu Ende gespielt hatte, reichte Phanor die Flöte an Josie weiter.
»Versuchen Sie’s mal«, sagte er.
»Oh, ich kann gar nicht Flöte spielen. Ich habe noch nie …«
»Versuchen Sie’s«, wiederholte er.
Sie setzte das Instrument an die Lippen und blies hinein, in der Erwartung eines grauenhaften Krächzens, aber tatsächlich kam ein runder, klarer Ton heraus.
»Nicht übel«, sagte Phanor. »Und jetzt die Fingerlöcher.«
Josie blies in die Flöte und ließ ihre Finger herauf und hinunter gleiten. Dann versuchte sie einen Triller, der so süß klang wie der Gesang eines Vogels. Während die anderen die letzten Erdnüsse verspeisten, experimentierte sie weiter. Sie konnte tatsächlich spielen! Bevor die letzte Nussschale zu Boden fiel, spielte sie ein Menuett, mit dem sie sich am Klavier lange Zeit abgequält hatte, und plötzlich entstand Musik unter ihren Händen. Nicht die bleierne Version, die sie auf dem Klavier zustande brachte, sondern fließende, freudige Musik.
»Ich wusste, dass Sie musikalisch sind«, sagte Phanor. »Sie sind dafür geboren, diese Flöte zu spielen.«
Sie spielte noch eine Melodie, verspielte sich nur ein paar Mal, und spürte, wie die Musik aus ihrem Herzen den direkten Weg in die Flöte fand. Musik ohne jede Zurückhaltung oder Anspannung.
Sie lachte. »Ich wusste wirklich nicht, dass ich so spielen kann.« Sie reichte Phanor die Flöte zurück.
»Aber natürlich können Sie das«, sagte Phanor. »Und die Flöte passt auch viel besser in Ihre Tasche als das Klavier.«
Dann drückte er ihr das Instrument mit Nachdruck zurück in die Hand. »Sie gehört Ihnen, Josie.«
»Aber das kann ich doch nicht annehmen, Phanor.«
»Sie gehört mir nicht, ich habe sie für Sie geschnitzt. Und ich habe dreizehn Rohre verdorben, bevor diese hier endlich richtig wurde. Sie gehört Ihnen.«
»Jetzt nimm schon, Josie«, sagte Cleo, und damit war die Sache entschieden.
Der Mond hatte sich weiter über den Himmel bewegt, und sie wussten, der Abend musste ein Ende finden. Remy begann, ein langsames Spiritual zu singen, Cleo setzte sich auf den Boden und lehnte sich an seine Knie. Thibault döste ein, den Kopf in ihrem Schoß. Die Frösche, die Heuschrecken, Zikaden, selbst der Wind wurde still, als Remys wunderbarer Tenor die Nacht erfüllte, jeder Ton so klar wie ein Glockenschlag, die reinste Verkörperung von Sehnsucht, Liebe und Hoffnung.
Josie saß auf dem Baumstamm neben Phanor. Den ganzen Abend lang hatte sie seine Gegenwart gespürt, hatte gefühlt, wie er sich bewegte, wie er den Kopf hielt, wenn er sprach oder wenn er Thibault einen Tanzschritt zeigte. Jetzt sah sie, wie sich der Stoff seiner Hose über seinem Bein spannte, und seine Nähe entflammte ihre Sinne. Sie konnte den Rauch in seinen Haaren riechen, den Schweiß in seinem Hemd, und sie atmete tief durch, um mehr davon zu bekommen.
Im letzten Schein des langsam ersterbenden Feuers sah Phanor sie an. »Josie«, sagte er. Sie lehnte sich an ihn. Sie wollte ihn küssen, seinen Körper unter dem dünnen Hemd spüren.
Er lehnte sich ebenfalls ein wenig an sie, aber dann zögerte er, bevor er ihre Lippen mit seinem Finger berührte. »Mademoiselle Josephine«, sagte er leise.
Cleos Stimme brachte Josie wieder zu sich. »Aufwachen, Thibault, ich kann dich doch nicht den ganzen Weg tragen«, sagte sie. Remy war schon in die Dunkelheit verschwunden; er ging allein in seine Unterkunft zurück.
Am nächsten Morgen saß Josie allein beim Frühstück und erinnerte sich an jede Bewegung von Phanor, jedes Wort, als sie plötzlich Musik hörte. Das ist er, dachte sie, eilte auf die vordere Veranda, und tatsächlich, da stand er, Phanor mit seiner Geige.
Mit großer Geste nahm er den Hut ab. »Was ist Euer Begehr, Mademoiselle?«
Josie beugte sich über das Geländer, mit Freude im Gesicht. »Etwas Lebhaftes bitte, wenn’s beliebt.«
Phanor stimmte ein fröhliches Cajun-Lied an, und beinahe hätte Josie angefangen zu tanzen, als plötzlich der Dampfer auf dem Fluss zu hören war.
»Das ist das Schiff nach New Orleans«, rief Phanor. »Ich muss los!«
»Warte, ich komme.«
Phanor verstaute seine Geige in ihrem Kasten, nahm seinen Koffer und stand aufrecht da. Nun würde er seine Tage nicht mehr mit Fischen, Jagen und wilden Geschichten
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