Das Herz des Südens
verbringen, dachte Josie. Von heute an war er ein Geschäftsmann.
Sie ging mit Phanor die Eichenallee hinunter zum Anleger, im Gleichschritt mit ihm, obwohl er so groß war. Sie beglückwünschte ihn ehrlich zu dieser Gelegenheit, in New Orleans sein Glück zu machen, aber vor allem tat sie sich selber leid, weil sie ihn gehen lassen musste. Aber vielleicht, in New Orleans …
»Wünschst du mir Glück, Josie?«
»Natürlich. Aber es wird sehr still hier, wenn du gehst.« Sie berührte schüchtern seinen Ärmel. »Spielst du irgendwann wieder für mich?«
»Sicher. Und du spielst für mich auf der Flöte.«
Der Kapitän ließ die Schiffssirene ertönen, damit sich der Passagier beeilte. Phanor drückte Josie schnell die Hand, bevor er an Bord sprang. Als das Schiff sich in die Strömung drehte, stand er an Deck und lächelte ihr zu.
Josie winkte, bis die Bäume und die Biegung des Mississippi ihr den Blick auf das Schiff versperrten. Lange blieb sie noch auf dem Anleger stehen, bewunderte die blauen Libellen, die über den Seerosen am Ufer schwebten, und hörte dem schläfrigen Quaken eines Frosches zu, der sich im Röhricht versteckte. Endlich schlenderte sie zum Haus zurück. Sie summte immer noch eine von Phanors Cajun-Melodien vor sich hin.
Bald nach seiner Abreise folgten die letzten Sommertage, feucht und heiß, in monotonem Einerlei. Das Haus war so still, ohne dass Papa kam und ging, ohne Mamans Freundinnen, die zu Besuch gekommen waren, ohne Bibis leises Singen am Morgen. Jetzt, da es der Plantage wieder gut ging, dachte Josie immer öfter an die kommende Saison in der Stadt.
Abigail besuchte sie ein oder zweimal, immer in Begleitung ihres Bruders. Albany genoss es, mit Grand-mère über Geschäfte zu sprechen, fand ebenso wie sie die Feinheiten des Zuckerrohrmarktes hoch faszinierend. Die Mädchen entschuldigten sich dann, zogen sich in Josies Zimmer zurück und betrachteten die Modezeichnungen in Abigails neuesten Zeitschriften aus New York.
Einige Male kam Albany Johnston auch allein, wobei er immer betonte, dass er Grand-mère besuchen wollte, dann aber trotzdem mit Josie im Salon saß. Aber ihre Interessen unterschieden sich wie Tag und Nacht. Albany war ein guter Kenner der politischen Entwicklungen in Washington und schien zu glauben, dass er sie mit den Einzelheiten über Van Burens Kampagne gegen die Whigs amüsierte. Ob sie wohl verstand, welche Konsequenzen die Ausplünderung der Bank der Vereinigten Staaten durch diesen Schurken Jackson hatte? Josie lernte, sich in stille Seufzer zu flüchten.
Endlich blies ein frischer Wind vom Golf die schwere, feuchte Luft weg, und Josie begann voller Begeisterung, ihre Wintergarderobe zu planen. Sie schrieb an alle ihre Cousinen, dass sie die Wintersaison in der Stadt verbringen würde. Ob sie wohl alle schon die neueste Ärmelmode gesehen hatten?
Die Visionen von Bällen und Banketten beschäftigten sie aber nur teilweise; immer häufiger träumte sie heimlich davon, Phanor wiederzusehen. Ihr ganzer Körper vibrierte, wenn sie nur daran dachte, wie sein Knie das ihre aus Versehen berührt hatte, als sie nebeneinander auf dem Baumstamm gesessen hatten. Aber sie sagte sich immer wieder, dass er nicht mehr sein konnte als ein Freund. Ja, natürlich, sie genoss seine Gesellschaft, und sie teilten die Liebe zu diesem Teil des Flusses. Aber er war ein Cajun. Und doch, diese ungeküssten Lippen …
Aber was war mit ihrem Cousin Bertrand Chamard? Seine Küsse, der erste und der zweite – immer wieder rief sie sich diese Augenblicke ins Gedächtnis. Die Gefühle, die er in ihr wachgerufen hatte, waren nicht verwandtschaftlicher Art. Was für Gefühle waren das?
Und wenn sie den vornehmen Chamard mit dem rauen Cajun Phanor verglich – nun, sie hatten beide ihren Charme. Bertrand würde zweifellos bei Tante Marguerites Abendgesellschaften zugegen sein; er würde vielleicht sogar schon diesen neuen Tanz kennen, den Walzer, von dem Abigail ihr erzählt hatte. Und würde er sie wieder küssen?
Auch Cleos Leben nahm neue Formen an.
An den langen Sommerabenden hatte weder Josie noch Grand-mère Anstoß daran genommen, dass sie nach dem Abendessen das Haus verließ. Manchmal hatte sie Thibault und Louella in der Hütte hinter dem Küchenhaus besucht, aber meistens war sie bei Remy gewesen, in den neu erbauten Unterkünften. Sie hatten sich getroffen, wenn Remy mit der Feldarbeit fertig war. Oft war er verschwitzt, erschöpft und müde gewesen. Cleo hatte ihm
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