Das Herz des Südens
dem Feld, aber er kommt, sobald er was gegessen und sich einen Eimer Wasser übergeschüttet hat.«
Phanor begann mit einer beliebten ländlichen Melodie, und Cleo zog Thibault weg von dem Maultier. »Komm, Thibault, tanz mit mir.« Sie fassten sich an den Händen und marschierten im Takt der Musik, wobei Cleo sehr vornehm ihren Rock mit einer Hand in die Höhe hielt.
»Tanz mit uns, Josie!«, rief Thibault. Cleo streckte eine Hand nach ihr aus, Josie griff danach, und so versuchten sie sich zu dritt lachend an den komplizierten Schritten, die Monsieur Pierre nach Toulouse gebracht hatte. O Gott, wie lange war es her, dass sie sich so leicht gefühlt hatte, so frei von aller Last?
Sie tanzte immer noch zu Phanors Spiel, als die Sonne dunkelrot am Horizont angekommen war, bevor sie endgültig versank und einen rosa- und lavendelfarbenen Himmel zurückließ. Nun tauchte auch Cleos Freund Remy aus den Schatten auf.
»Seht mal, was ich habe!«, rief er ihnen zu. Dann bemerkte er im dämmrigen Licht Mademoiselle Josephine. »‘tschuldigung, Mamsell«, sagte er und trat den Rückzug an. »Ich wusste ja nicht, dass Sie hier sind, ‘tschuldigung noch mal.«
Abigail wäre entsetzt gewesen, hätte sie gewusst, dass Josie einen Abend mit einem Cajun und einem schwarzen Landarbeiter verbrachte. Aber was ging das Ganze schließlich Abigail an?
»Remy«, sagte sie, »Cleo hat mir erzählt, du hast die schönste Stimme hier von allen.« Er stand immer noch zögernd da. »Ich möchte dich so gern singen hören.«
»Komm schon her«, ergänzte Phanor, und nun stieg Remy tatsächlich den Deich hinauf. »Was hast du denn da in dem Sack?«
»Gekochte Erdnüsse«, erwiderte Remy. »Von dem Typen drüben bei Cummings. Wir haben ihm jede Menge Welse dafür gegeben.«
»Josie und ich lieben Erdnüsse«, sagte Cleo.
Und so saßen sie zu fünft um das kleine Feuer, aßen Erdnüsse und redeten miteinander.
Josie entdeckte zu ihrer Überraschung, dass Phanor ein sehr guter und intelligenter Geschichtenerzähler war – dass er ein charmanter Teufel war, wusste sie ja schon lange. Sie fand es herrlich, wie er mit todernster Miene seine Witze erzählte und erst bei der Pointe ein ganz klein wenig den Mund verzog.
Josie beobachtete so diskret wie möglich, wie Cleo und Remy sich auf einem Tuch aneinanderschmiegten, das sie auf dem Boden ausgebreitet hatten. Papa hätte sich gewiss einen besseren Mann für Cleo gewünscht; er hätte einen gelernten Arbeiter für sie ausgesucht, vielleicht einen Schmied oder sogar einen Freigelassenen. Aber sie hatte sich nun mal Remy ausgesucht, einen einfachen Sklaven mit rauen Händen und der ebenso rauen Sprache eines Landarbeiters, und sie leuchtete förmlich vor lauter Liebe zu ihm. Josies Einsamkeit wurde nur noch stärker, wenn sie beobachtete, wie Cleo sich an Remy schmiegte, seinen Arm oder sein Haar berührte, ständig Hautkontakt suchte.
Sie hatte die Erdnussschalen in einem ordentlichen kleinen Berg auf ihrem Schoß gesammelt, bis Thibault ihr gezeigt hatte, wie man sie über die Schulter spuckte. In der Dämmerung legte sie ihre Hemmungen leichter ab, ebenso wie Remy, und sie bildeten eine fröhliche Runde, während es allmählich ganz dunkel wurde. Bald nahm Phanor wieder seine Geige auf.
Er spielte eine schnelle Cajun-Melodie, zu der sie paarweise um das Feuer tanzten, Josie mit Thibault und Cleo mit Remy. Als die Musik endete, fasste Thibault Josie um die Taille und umarmte sie fest. »Ich hab dich so lieb, Josie«, sagte er.
Tränen traten ihr in die Augen. Im Feuerschein erkannte sie, wie ähnlich er ihrem Vater sah. Sie ließ sich auf die Knie nieder, um ihn ebenfalls zu umarmen. »Ich hab dich auch lieb.«
Über Josies Schulter hinweg sagte Thibault zu Remy: »Sie ist nämlich meine Schwester, weißt du.«
»Thibault!«, rief Cleo. »Ich habe dir gesagt …«
Josie stand auf, um dem peinlichen Augenblick ein Ende zu setzen. »Ist schon gut, Cleo«, sagte sie. »Er hat doch recht.«
Der Augenblick zog sich endlos hin, bis Remy anfing, mit den Händen einen komplizierten Rhythmus zu klatschen und dann mit den Füßen dazu zu stampfen. Phanor nahm den Takt mit seinen Händen auf und begann, seine Füße über den Boden zu bewegen, schneller und immer schneller, im Takt zu Remys wilden Synkopen.
Im Licht des Halbmonds verbrachten sie noch eine ganze Stunde damit, zu singen und zu tanzen und zu lachen. Dann zog Phanor mit großer Geste eine Weidenflöte aus seinem Geigenkasten.
Weitere Kostenlose Bücher