Das Herz des Südens
versuchen, Cleo, und du weißt das.«
»Ja, ich weiß es.«
Sie liebten sich in der Sicherheit ihres Verstecks in der Dunkelheit. Für eine kleine Weile schoben sie die Wachsamkeit, die Sklaven immer brauchen, in die Schatten zurück und lebten nur für sich selbst.
Später stand Cleo auf der mondhellen Treppe zur Veranda hinauf und beobachtete, wie Remy zwischen den Pecanbäumen verschwand, als er an Mr Gales Haus vorbei Richtung Unterkünfte ging.
Josie war jetzt in New Orleans, und so saß Cleo allein im Schlafzimmer, mit zwei Kerzen, die ihr genug Licht spendeten, damit sie Emiles Landkarte studieren konnte. Der Fluss selbst wäre natürlich der leichteste Weg Richtung Norden, aber er barg auch die meisten Gefahren. Überall waren Sklavenhändler unterwegs, die nach Flüchtigen Ausschau hielten, und Remy würde nicht einmal bis Iberville kommen, wenn er den Mississippi nicht so schnell wie möglich verließ.
Kurz dachte sie daran, wie gut es gewesen wäre, mit Josie darüber zu sprechen. Das war natürlich lächerlich, aber Cleo vermisste die Freundin trotzdem. Der Luxus, ein Schlafzimmer für sich allein zu haben, machte die Einsamkeit nicht wett. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie auf Monsieur Emiles Schritte lauschte oder sich einbildete, sie könnte seine Zigarre riechen. Oft sprach sie mit ihrer Maman, erzählte ihr, dass sie noch ein Laken stopfen musste oder vertraute ihr an, wie sehr sie Remy liebte. Aber Geister gaben ja keine Antwort.
Wenn Monsieur Emile noch am Leben gewesen wäre, dachte Cleo, hätte sie ihn gefragt, ob Remy sich mithilfe seiner Arbeit freikaufen könnte. Das kam durchaus vor. Ein fähiger Sklave konnte an einen anderen Weißen vermietet werden, sein Lohn ging dann an den Besitzer, und er behielt nur ein kleines Taschengeld. Aber Madame würde einer solchen Regelung niemals zustimmen. Auf Toulouse hatte es keinen einzigen derartigen Fall mehr gegeben, seit der alte Monsieur Tassin vor zwanzig Jahren gestorben war, und seit dem Hochwasser und der Choleraepidemie waren Arbeitskräfte auf der Plantage ohnehin knapp.
Remy würde es einfach auf eigene Faust versuchen müssen. Das kalte Wetter würde die Schlangen schläfrig machen, und auch die Mücken waren zu dieser Jahreszeit nicht so schlimm. Cleo konnte ihm ein paar anständige Kleider aus Monsieur Emiles Schrank geben, und sie konnte Proviant für ihn aus Louellas Küche stehlen – oder vom Tisch im Haus.
Vor allem aber würde sie ihm einen gefälschten Passierschein besorgen. Es war ein furchtbares Verbrechen, wenn ein Sklave einen Passierschein fälschte. Es war schon ein Verbrechen, dass Cleo schreiben konnte. Aber sie konnte ihn doch nicht in die Hände der herumstreifenden Patrouillen oder der Sklavenhändler fallen lassen, ohne dass er einen Schein bei sich hatte! Er hatte einfach nicht die Beredsamkeit, um ihnen weiszumachen, dass er einen legalen Auftrag hatte, wenn sie ihn fingen.
Grau und kalt kam die Morgendämmerung. Cleo hüllte sich in einen Schal und steckte ihre Füße in Josies alte, steife Lederstiefel. Sie hatte sich oft gefragt, wie es ihr bei Madame ergangen wäre, wenn Josie nicht immer größere Füße gehabt hätte als sie. Einige Haussklaven trugen gute Schuhe, andere gingen das ganze Jahr barfuß. Nun, da Emile nicht mehr da war, hatte Cleo den Verdacht, Madame wäre auch mit einem Hausmädchen auf bloßen Füßen zufrieden.
Nachdem sie die Kaffeebohnen gemahlen und das warme Frühstück bei Louella abgeholt hatte, rief sie Madame zu Tisch. Seit dem Hochwasser waren Madame Emmelines große, schnelle Schritte nur noch halb so lang, und sie hatten ihre Spannkraft verloren. Ihre Schultern waren ein wenig gebeugt, und die harten Linien in ihrem Gesicht waren ein wenig weicher geworden.
Cleo schenkte ihr dampfend heißen Kaffee ein und blieb in der Nähe stehen, während sie aß.
»Keine Marmelade?«, grantelte Emmeline.
»Nein, Madame.« Und mit unbewegtem Gesicht fuhr Cleo fort: »Beim Hochwasser ist viel verloren gegangen.« Jeden Tag erinnerte sie irgendeine Kleinigkeit an all die Dinge, die mit der Flut weggeschwemmt worden waren. Es gab keine Butter, und wenn Marguerite aus New Orleans nicht fünf Pfund frische Kaffeebohnen geschickt hätte, gäbe es auch keinen Kaffee.
Als Madame Emmeline ihre Blutwurst und ihren Maiskuchen gegessen hatte, winkte sie Cleo zu sich, um sie anzuschauen. Cleo wartete, während Madame sie über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg beobachtete.
»Du weißt
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