Das Herz des Südens
alles war und wie sehr sie seine Freundlichkeit berührte.
Chamard warf einen Blick über seine Schulter zurück zum Salon und sprach dann leise auf sie ein.
»Wer war das?«
Cleo schüttelte den Kopf. Sie wollte an ihm vorbei, aber er versperrte ihr den Weg. Er stand sehr nah vor ihr. Der Duft seiner Wolljacke, seines Tabaks, seiner ganzen Person zog sie magisch an.
»Bitte, Monsieur«, sagte sie nur.
Bertrand zögerte. Noch einmal berührte er sehr vorsichtig ihr Gesicht, dann trat er zur Seite. Cleo eilte an ihm vorbei in ihr Schlafzimmer.
Als Bertrand mit dem Dekanter zu Madame Emmeline zurückkam, schenkte er ihnen beiden noch ein Glas Wein ein. Er fragte sich, ob er Emmeline darauf ansprechen sollte, dass Cleo offenbar geschlagen worden war, beschloss dann aber, dass es ihre Freundschaft allzu sehr belasten würde, wenn er sich in die inneren Angelegenheiten von Toulouse einmischte.
Stattdessen sprachen sie von allerlei wirtschaftlichen Aktivitäten und vom Ruf verschiedener Händler in New Orleans, die sie beide kannten. Aber Bertrand war unruhig. Er konnte Cleos armes zerschlagenes Gesicht und den resignierten Blick in ihren Augen nicht vergessen. Wer auch immer ihr das angetan hatte, er verdiente, zerschmettert zu werden.
Für einen Augenblick überlegte er, ob es möglicherweise Madame Emmeline selbst gewesen war, die Cleo geschlagen hatte, aber dies waren nicht die Spuren, die eine Frau hinterließ, so wütend sie auch sein mochte. Es musste ein Mann gewesen sein, der Cleo so zugerichtet hatte. Es gab genug Präzedenzfälle in dieser Gegend, die Bertrand sagten, dass es vermutlich der Aufseher gewesen war. Es juckte ihn in den Fingern, LeBrec heimzuzahlen, was er Cleo angetan hatte.
Früher als sonst und mit einem Blick auf die drohenden dunklen Wolken entschuldigte er sich bei Emmeline.
»Laurie«, sagte Madame, »sag Ellbogen-John Bescheid, dass er Monsieurs Pferd aus dem Stall bringt.«
»Ist nicht nötig, Madame Emmeline, ich hole es schon selbst.«
»Aber auf keinen Fall, Bertrand. Laurie sollte ohnehin gehen und LeBrec zu mir bringen. Ich habe ihm schon angekündigt, dass ich ihn heute Nachmittag noch sehen will. Lauf schon, Laurie.«
»Ärger?«, wagte Bertrand sich vor.
Madame Emmeline warf ihm einen schiefen Blick zu. »Ich nehme an, Sie haben Cleo nach dem Essen im Speisezimmer gesehen.«
»In der Tat. Irgendjemand hat sie fürchterlich zugerichtet.«
»Richtig. Aber sie wusste, sie sollte ihm aus dem Weg gehen. Sie hört einfach nicht auf mich.«
»Kann ich irgendwie helfen?«
»Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein«, sagte Madame Emmeline und reichte ihm seinen Hut.
Als Bertrand über den Hof ging, um auf sein Pferd zu steigen, schlenderte LeBrec an ihm vorbei Richtung Haus. Bertrand nahm Thibault die Zügel ab und sagte zu ihm: »Lauf nur, Tio.«
LeBrecs linke Hand war vollständig verbunden. Rote Kratzer verliefen über die ganze Länge der einen Wange, und neben seinem Auge war eine tiefe Wunde zu sehen. Man konnte deutlich erkennen, dass Cleo sich nicht kampflos ergeben hatte, und Bertrand konnte nicht anders, als ihr insgeheim zu applaudieren.
»Wie geht es Ihnen, Monsieur Chamard«, sagte LeBrec.
Bertrand streckte eine Hand aus und hielt ihn am Arm fest. »Ich habe Interesse an dem Mädchen, LeBrec«, sagte er. »Wenn ich noch einmal irgendetwas an ihr feststelle …«
In LeBrecs Stimme war wenig Überzeugungskraft, als er fragte: »Wovon reden Sie überhaupt?«
»Sie wissen ganz genau, wovon ich rede.« Bertrand sah die Angst in den Augen des Aufsehers. Der Mann war ein Feigling, aber das überraschte ihn nicht besonders. »Fassen Sie sie nicht noch einmal an«, sagte Bertrand. Dann drehte er ihm den Rücken zu und stieg auf sein Pferd.
Als Bertrand am Haus vorbeiritt, warf er noch einen Blick hinauf zu dem Schlafzimmer, in das sich Cleo zurückgezogen hatte. Die Vorhänge bewegten sich, und er wusste, sie hatte ihn mit LeBrec beobachtet.
22
New Orleans
Phanors neues Leben brachte lange Arbeitstage und neue Herausforderungen, aber er begrüßte jeden Tag mit glücklichem Herzen. Seit er Monsieur Cherleus Weinhändler war, hatte er lernen müssen, welche Schiffe am schnellsten über den Atlantik kamen, welchen Kapitänen man am ehesten eine Ladung anvertrauen konnte, in welcher Jahreszeit das Meer am unruhigsten war, und damit auch der Wein. Er sorgte dafür, dass die Bosse an den Kais ihn kennenlernten, die Chefs der besten Restaurants und Clubs, und
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