Das Herz des Südens
Platz erspäht hatte, wo sie mit den beiden Américains spazieren ging, hatte er einen Augenblick Zeit, um sie zu betrachten, bevor er sich näherte. Sie war noch hübscher als in seiner Erinnerung. Die Blässe des letzten Sommers war vergangen, ihre Wangen wieder rosig. Ihre Taille war so schmal, dass er sie wohl mit seinen beiden Händen hätte umspannen können, und er sehnte sich danach, eine der Locken zu berühren, die unter ihrer schwarzen Haube hervorlugten.
Als sie ihn erkannte, sah er, wie ihre grünen Augen aufleuchteten. Sie freute sich ebenso wie er, aber er wusste, dass er jetzt nicht einfach hinüberlaufen und ihre Hände ergreifen konnte. Er hatte inzwischen genug feine Lebensart gelernt, um zunächst den Herrn anzusprechen, der sie begleitete, und zwar mit der gebotenen Zurückhaltung, wie die Américains sie schätzten.
»Ich bin jeden Sonntagnachmittag auf dem Platz«, hatte er ihr gesagt, und ihr Lächeln zeigte ihm, dass sie ihn verstanden hatte.
Von da an stand er jeden Sonntag vor der Kathedrale, bei jedem Wetter. Aber sie kam nicht.
Er begann den Platz immer früher aufzusuchen, und um ein bisschen Gesellschaft zu haben, nahm er seine Geige mit. Er trug seine alten Kleider, so geflickt und ausgebessert sie auch waren, damit sein neuer Anzug für die neue Arbeitswoche gereinigt und gebügelt werden konnte. Er spielte seine alten Lieblingslieder, und so vergaß er seine Einsamkeit und vertrieb sich die Zeit. Die Leute hörten ihm gerne zu, und er freute sich daran, vor Zuhörern zu spielen. Das Geld, das sie ihm in den Hut warfen, bedeutete ihm nichts, schließlich bezahlte ihm Monsieur Cherleu mehr, als er sich jemals erträumt hatte. Aber seine Zuhörer, so arm sie auch sein mochten, bestanden darauf, ihm etwas für sein Spiel zu geben. Es war, als würden sie seine Musik umso mehr schätzen, wenn sie dafür bezahlten.
Als der schlimmste Teil des Winters vorüber, vom Frühling aber noch nichts zu spüren war, nahm Phanor das Schiff den Fluss hinauf. Seit letztem August war er nicht mehr zu Hause gewesen.
Am Anleger von Toulouse sprang er von Bord. Er drehte sich um und winkte dem Kapitän kurz zu, bevor er den Deich hinaufstieg. Vor ihm lag die Eichenallee, und Josies Haus war zwischen den nackten Bäumen gut zu sehen. Die leuchtend gelben Mauern mit den grünen Fensterläden, die lange Reihe der Fenster, die breite Fläche von Veranda und Dach – das Haus hatte sich nicht verändert, es war nur ein wenig kleiner als in seiner Erinnerung.
Er dachte daran, wie Cleo mit diesen albernen Pantinen durch den Schlamm gezogen war, als er ihr zum ersten Mal auf der Geige vorgespielt hatte. Am lebhaftesten erinnerte er sich jedoch an die Nacht auf dem Deich, als er gespielt hatte und Cleo und Remy, Josie und Thibault dazu am Lagerfeuer gesungen hatten. Josie hatte neben ihm auf dem Baumstamm gesessen, so nahe, dass ihre Knie sich berührt hatten. An jenem Abend hätte er sie so gern geküsst – und er hätte es auch beinahe getan. Wie oft hatte er sich gewünscht, er hätte den Mut dazu gehabt!
Er ging die Allee entlang, und bald stand er vor der Treppe zur Veranda. Er war nicht mehr der Cajun-Junge mit den nackten Füßen, der vorbeikam, um Eier oder Nüsse zu verkaufen. Jetzt war er ein Geschäftsmann, und er hatte wohl alles Recht der Welt, das Haus durch die Vordertür zu betreten.
Er hatte bereits die Hand gehoben, um an der Kette zu ziehen, aber noch vor dem ersten Läuten öffnete ihm Cleo schon die schwere Holztür. »Monsieur DeBlieux, nehme ich an«, sagte sie. »Wollen Sie nicht hereinkommen, Monsieur? Ich nehme Ihnen den Hut ab.«
Er lachte über ihre übertriebene Höflichkeit, dann nahm er sie in die Arme und wirbelte sie herum. Als er sie wieder absetzte, trat Cleo einen Schritt zurück und sah ihn an. »Wie fein du angezogen bist!«, sagte sie und berührte den Samtkragen und die leinene Krawatte. »Bist du wirklich noch derselbe?«, neckte sie ihn.
Phanor zog seine Jacke gerade. »Wenn du den Jungen meinst, der auf dem Deich für dich Musik gemacht hat, ja, der bin ich. Aber ohne Schuhe komme ich nicht mehr, Cleo, das ist vorbei.«
»Ich habe dich so vermisst, Phanor! Lalie hat mal einen Brief hierhergebracht, damit er mit Madames Post mitgenommen wird. Hat sie dir von Remy geschrieben?«
»Ja, ich weiß, dass Remy wieder hier ist.«
Cleo blickte zur Tür von Madame Emmelines Arbeitszimmer.
»Ich erzähle dir später mehr. Jetzt muss ich dich erst einmal bei Madame
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