Das Herz ihrer Tochter
Wirklichkeit versucht hatte, die Kleine vor ihrem Stiefvater zu
schützen?
Das hieße, dass Shay für die Sünden eines
anderen sterben würde.
Noch einmal.
»Kein guter
Zeitpunkt«, sagte Maggie, als sie an die Tür kam. »Es ist ein Notfall.«
»Dann rufen Sie die Polizei. Oder greifen
Sie zu Ihrem roten Telefon, und wählen Sie Gottes Privatanschluss. Ich melde
mich morgen früh bei Ihnen.« Sie wollte die Tür wieder schließen, aber ich
schob den Fuß dazwischen.
»Ist alles in Ordnung?« Ein Mann mit
einem britischen Akzent stand plötzlich neben Maggie, die puterrot angelaufen
war.
»Father Michael«, sagte sie. »Das ist Dr.
Christian Gallagher.«
Er streckte mir eine Hand hin. »Hallo.
Ich hab schon viel über Sie gehört.«
Ich hoffte nicht. Ich meine, wenn Maggie
einen romantischen Abend hatte, dann boten sich eindeutig bessere Gesprächsthemen
an.
»Na«, fragt Christian freundlich. »Wo
brennt's denn?«
Ich spürte, wie mir heiß wurde. Im
Hintergrund konnte ich sanfte Musik hören; der Mann hatte ein halbes Glas
Rotwein in der Hand. Wenn hier etwas gelodert hatte, dann hatte ich das Feuer
soeben mit einem Eimer Sand gelöscht. »Tut mir leid. Ich wollte nicht -« Ich
machte einen Schritt rückwärts. »Schönen Abend noch.«
Ich hörte, wie die Tür sich hinter mir
schloss, doch statt zu meinem Motorrad zu gehen, setzte ich mich auf die Stufen
vor dem Haus. Als ich Shay das erste Mal besuchte, hatte ich zu ihm gesagt,
dass man nicht einsam sein kann, wenn Gott die ganze Zeit bei einem ist, aber
das stimmte nicht ganz. Er
spielt lausig Dame, hatte
Shay gesagt. Tja, man konnte auch nicht mit Gott ins Kino gehen. Ich konnte die
Lücke, die eine Partnerin füllen würde, mit Gott füllen, und das war mehr als
genug, aber das hieß nicht, dass ich nicht manchmal die Phantomschmerzen
spürte.
Die Tür ging auf, und in den
Lichtstreifen trat Maggie. Sie war barfuß, und sie hatte sich ihre
Businesskostümjacke über die Schultern gehängt.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich wollte
Ihnen nicht den Abend verderben.«
»Schon gut. Ich hätte mir denken können,
dass der Rest der Welt meinetwegen nicht mal kurz stehen bleibt.« Sie ließ sich
neben mir nieder. »Was gibt's denn?«
In der Dunkelheit, ihr Profil vom Mond
beschienen, sah sie so schön aus wie eine Renaissance-Madonna. Mir kam der Gedanke,
dass Gott sich so jemanden wie Maggie ausgesucht hatte, als er sich für Maria
als Mutter seines Sohnes entschied: eine Frau, die bereit war, das Gewicht der
Welt auf ihre Schultern zu nehmen, obwohl es nicht mal ihre eigene Last war.
»Es geht um Shay«, sagte ich. »Ich glaube, er ist unschuldig.«
MAGGIE
Ich war nicht sonderlich überrascht, als
ich hörte, was Shay Bourne dem Priester erzählt hatte.
Was mich dagegen überraschte, war der
Eifer, mit dem Father Michael es geschluckt hatte.
»Es geht jetzt nicht mehr um den Schutz
von Shays Grundrechten«, sagte Michael. »Oder darum, ihn nach seinen Bedingungen
sterben zu lassen. Hier soll ein Unschuldiger getötet werden.«
Wir waren ins Wohnzimmer gegangen, und
Christian - tja, der saß am anderen Ende der Couch und tat so, als würde er ein
Sudoku-Rätsel in der Zeitung lösen, dabei hörte er uns in Wirklichkeit
aufmerksam zu. Er war irgendwann nach draußen gekommen und hatte uns
reingeholt. Ich war fest entschlossen, Father Michaels Seifenblase aus
inbrünstiger Rechtschaffenheit zum Platzen zu bringen, um möglichst schnell
dort weiterzumachen, wo ich vor seiner Ankunft gewesen war.
Nämlich flach auf dem Rücken, mit
Christians Hand auf der Stelle meines Körpers, wo der Einschnitt für eine Blinddarmoperation
gemacht wurde, was im persönlichen Erleben um einiges aufregender war, als es
sich anhört.
»Er ist ein verurteilter Mörder«, sagte
ich. »Solche Leute lernen zu lügen, ehe sie laufen lernen.«
»Vielleicht hätte er ja nie verurteilt
werden dürfen«, sagte Michael.
»Sie gehörten doch zu den Geschworenen,
die ihn schuldig gesprochen haben!«
Christians Kopf fuhr hoch. »Tatsächlich?«
»Willkommen in meinem Leben«, sagte ich
seufzend. »Father Michael, Sie haben die Zeugenaussagen gehört, die Beweise mit
eigenen Augen gesehen.«
»Ich weiß. Aber da wusste ich nicht, dass
er Kurt beim Mißbrauch seiner Stieftochter erwischt hat und die Pistole
losgegangen ist, als er versucht hat, sie Kurt zu entwinden.«
Christian beugte sich vor. »Na, dann ist
er doch eher so etwas wie ein Held, oder?«
»Nicht
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