Das Herz ihrer Tochter
Bournes Unschuld zu
sammeln.«
Der Gouverneur wurde blass. »Ich dachte,
Priester unterliegen dem Beichtgeheimnis.«
»Das stimmt, doch wir sind verpflichtet,
es zu brechen, wenn ein Gesetzesverstoß droht oder ein Menschenleben in Gefahr
ist. Beides trifft in diesem Fall zu.«
Der Gouverneur faltete die Hände,
plötzlich reserviert. »Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen - sowohl in
religiöser als auch in politischer Hinsicht. Ich werde über Ihr Anliegen
nachdenken.«
Ich wusste, dass wir damit entlassen
waren, nickte und blickte Father Michael an, der gleichfalls verstanden hatte.
Wir verabschiedeten uns mit Handschlag und schlichen aus dem Büro. Wir
sprachen erst wieder, als wir draußen waren, unter einem sternklaren Himmel.
»Ich schätze«, sagte Father Michael, »das bedeutet Nein.«
»Es bedeutet, wir müssen abwarten. Was
vermutlich Nein bedeutet.« Ich schob die Hände tief in die Taschen meiner Kostümjacke.
»Also. Da mein ganzer Abend zweifellos ruiniert ist, sag ich mal Gute Nacht -«
»Sie glauben nicht, dass er unschuldig
ist, oder?«
Ich seufzte. »Ehrlich gesagt, nein.«
»Warum sind Sie dann bereit, so für ihn
zu kämpfen?«
»Weil ich genau weiß, wie das ist, wenn
das, woran du glaubst, dir das Gefühl gibt, ausgeschlossen zu sein.«
Ich konnte Father Michaels Blick im
Rücken spüren, als ich zu meinem Wagen ging. Es fühlte sich an wie ein Cape aus
Licht, wie die Flügel der Engel, an die ich nie geglaubt hatte.
Mein Mandant sah aus, als wäre er von
einem Lkw überrollt worden. Father Michael hatte, beseelt von dem Gedanken,
mich zu mobilisieren, ganz vergessen zu erwähnen, dass Shay sich mehrfach
selbst verletzt hatte. Sein Gesicht war verschorft und mit Blutergüssen
übersät. Seine Hände - seit dem Debakel letzter Woche eng an den Körper
gefesselt - waren zerkratzt. »Sie sehen beschissen aus«, murmelte ich.
»Wenn sie mich erst gehängt haben, seh
ich noch schlimmer aus«, erwiderte Shay.
»Wir müssen uns unterhalten. Über das,
was Sie Father Michael erzählt haben -« Doch weiter kam ich nicht, weil Richter
Haig Gordon Greenleaf aufrief, sein Schlussplädoyer zu halten.
Gordon erhob sich schwerfällig. »Euer
Ehren, dieser Fall war für das Gericht Zeitvergeudung und für den Steuerzahler
Geldverschwendung. Shay Bourne ist ein verurteilter Doppelmörder. Er hat das
gräßlichste Verbrechen in der Geschichte des Staates New Hampshire begangen.«
Ich warf Shay einen verstohlenen
Seitenblick zu. Wenn er die Wahrheit gesagt hatte - wenn er gesehen hatte, wie
Elizabeth mißbraucht wurde -, dann wurde aus den beiden Morden Totschlag und
Notwehr. DNA-Tests waren damals vor elf Jahren noch nicht üblich - war es
möglich, dass noch irgendwelche Teppich- oder Couchfasern vorhanden waren, die
Shays Angaben untermauern konnten?
»Er hat sämtliche Rechtsmittel
ausgeschöpft«, fuhr Gordon fort. »Bis hin zum Obersten Bundesgericht - und
jetzt versucht er verzweifelt, sein Leben durch eine fadenscheinige Klage zu
verlängern, dass er an irgendeine fadenscheinige Religion glaubt. Der Staat New
Hampshire und seine Steuerzahler sollen extra für ihn einen Galgen errichten,
damit er sein Herz der Schwester seines Opfers spenden kann - weil er plötzlich
Mitgefühl mit der Familie hat. Er hatte weiß Gott kein Mitgefühl für sie an dem
Tag, an dem er Kurt und Elizabeth Nealon ermordete.«
Die Chancen waren natürlich äußerst
gering, dass heute noch Beweismittel vorhanden waren. Inzwischen war selbst die
Unterwäsche, die man in Shays Tasche gefunden hatte, vernichtet oder an June
Nealon zurückgegeben worden - der Fall war für die ermittelnden Beamten seit
elf Jahren abgeschlossen. Und die einzigen Augenzeugen waren die Todesopfer
gewesen - und Shay.
»Ja, es stimmt, die Religionsfreiheit von
Häftlingen ist gesetzlich geschützt«, sagte Greenleaf. »Das Gesetz wurde
erlassen, damit jüdische Häftlinge im Gefängnis die Kippa tragen und Muslime
während des Ramadan fasten können. Die Strafvollzugsbehörde erteilt im Rahmen
des Gesetzes Sondergenehmigungen für religiöse Entfaltung. Aber zu behaupten,
dass dieser Mann - der im Gerichtssaal die Beherrschung verloren hat, der seine
Emotionen nicht im Griff hat, der nicht mal den Namen seiner Religion nennen
kann - eine Sonderbehandlung bei seiner Hinrichtung verdient hat, ist völlig
unangemessen und nicht im Sinne unserer Gesetzgebung.«
Kaum hatte Greenleaf wieder Platz
genommen, steckte der Gerichtsdiener mir
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